Bericht aus dem BE

„Was ihr wollt“ im Berliner Ensemble

„Was ihr wollt“ im Berliner Ensemble. Der Plastevorhang symbolisiert die Traumwelt.

Am Berliner Ensemble zeigt Regisseur Antú Romero Nunes seine Version von Shakespeares „Was ihr wollt“. Es wird zum generationenverbindenden Theaterabend, das die Grenzen zwischen Verwechslungsspiel und Insta-Ästhetik verwischt. Mit der Besetzung gelingt dem BE eine präzise und trotzdem zugängliche Inszenierung.

Die Bühne von Matthias Koch kommt ohne opulente Requisiten aus, stattdessen setzt Nunes auf eine radikal verkörperte Theatersprache: Menschen werden zu lebenden Objekten. Ein Ring „funkelt“ nur durch den Ausspruch des Wortes und die entsprechende Geste, eine Wanduhr manifestiert sich durch Pauline Knof, die hinter dem erstarrten Malvolio steht und mit rhythmischem Zungenschnalzen das Ticken der Zeit verkörpert, während warmes Licht die sargähnliche Starre des Haushofmeisters in Szene setzt. Geld wird nicht übergeben, sondern deklariert. Diese Entscheidung für das Handgemachte, für die sichtbare Theatralität, ist keine Verlegenheitslösung, sondern programmatisch – und sie funktioniert bestechend.

Amelie Willberg als Cesario.
Amelie Willberg in „Was ihr wollt“ am Berliner Ensemble als Cesario in Illyrien. © Joerg Brüggemann 2025

Doch Nunes‘ Inszenierung lebt nicht nur von der reduzierten Bühnenmaschinerie, sondern vor allem von ihren zeitgenössischen Referenzen. Maria, gespielt von Pauline Knof, tritt als Teenage-Influencerin auf, deren Gestik und Sprechweise sofort erkennbar sind – eine Kodierung, die generationsübergreifend funktioniert, wie sich im Publikum zeigt. Olivia (Sebastian Zimmler) erscheint in Schwarz-Weiß-Gewandung als moderner Star, dem die Inszenierung einen klaren Starzuschnitt gibt. Die aus dem Alltag genommenen Musikeinlagen – etwa „Halt dein Maul“ von Influencerin Evelyn Weigel – durchziehen den Abend als Erkennungszeichen für jene, die sich in den Algorithmen der sozialen Medien bewegen, während sie für andere zu einem überraschenden Moment der Übersetzungsarbeit werden (eine meiner Begleiterinnen musste mir die Referenz erklären – es empfiehlt sich also, sozial divers ins Theater zu gehen).

Willbergs Präzision und intrikates Beziehungsgeflecht

Im Zentrum dieser turbulenten Verkleidungs- und Verwechslungskomödie steht Amelie Willberg als Viola und Cesario. Willberg ist seit der vergangenen Spielzeit 2023/24 Ensemblemitglied und kürzlich mit dem hauseigenen Helene-Weigel-Nachwuchspreis ausgezeichnet worden. Sie bringt eine Klarheit und Präsenz auf die Bühne, die fasziniert. Ihre Darstellung der Geschlechterambivalenz ist nicht kokettiert, sondern körperlich präzise durchdacht – jede Geste, jedes Zögern, jede Verschiebung zwischen dem, was Viola ist, und dem, was Cesario vorgibt zu sein, wird sichtbar gemacht. Willberg spielt mit einer Intelligenz, die den Raum nicht dominiert, sondern fruchtbar macht für die Beobachtung. Es ist eine Leistung, die umso beeindruckender ist, als dass Willberg – so beobachtet man bei den Verbeugungen – selbst eine gewisse Zurückhaltung zeigt, fast als könne sie den Applaus nicht ganz annehmen. Diese Bescheidenheit steht in erstaunlichem Kontrast zur Strahlkraft ihrer Bühnenpräsenz.

Ich wünschte, du wärst so, wie ich dich haben will.

Olivia zu Cesario

Das intrikate Beziehungsgeflecht, das Shakespeare entwirft – Viola liebt Orsino (Oliver Kraushaar), der Olivia liebt, die wiederum Cesario / Viola verfällt – wird von Nunes nicht psychologisiert, sondern als Zirkel der Projektionen inszeniert. „Ich wünschte, du wärst so, wie ich dich haben will“, sagt Olivia zu Cesario. Jede Figur projiziert ihre Sehnsucht auf eine andere, die wiederum woanders hinblickt. Dieser Reigen aus Begehren und Verkennung wird durch Zimmlers zart-verletzliche Olivia ebenso getragen wie durch Maeve Metelka“ als aufmüpfiger Sir Toby Rülps und Maximilian Diehle als tölpelhafter Sir Andrew Leichenwang, der als Nebenbuhler nie eine Chance hat.

Malvolio-Komplott: Gelbe Socken und Grausamkeit

Shakespeares Stücke sind bekannt dafür, das Publikum zur Komplizenschaft zu verführen – und nirgends geschieht dies brutaler als im Komplott gegen Malvolio. Bettina Hoppe, die seit 2009 mit Intendant Oliver Reese arbeitet, gibt einen Haushofmeister, der von Anfang an im falschen Stück zu stehen scheint. Ihr Malvolio ist kein böswilliger Pedant, sondern jemand, der verzweifelt dazugehören möchte und dabei nicht merkt, dass er bereits ausgeschlossen ist. Die berühmte Szene mit den gelben Strümpfen – dem kleinsten Verkleidungsstück, das man tragen kann – wird bei Hoppe zur Selbstüberwindung, zum Versuch, sich den Extravaganzen der anderen anzupassen. Das schwarze gekreuzte Strumpfband vervollständigt die Travestie, doch statt Komik entsteht hier vor allem Unbehagen. „Sir Tobi, die Mädchen werden sich heute um mich vermassen“, verkündet Malvolio in seiner erotisch-irrtümlichen Verblendung.

Wenn Malvolio inszinatorisch gespielt „in den Sarg“ gelegt wird – physisch erstarrt, von warmem Licht angestrahlt, während Knofs Maria als menschliche Uhr hinter ihm das Ticken der Zeit schnalzt, wird die Grausamkeit des hinterhältigen Spiels der Gruppe deutlich. Wir lachen, ja. Aber wir lachen schuldig. Der letzte Satz Malvolios, der Rache schwört, trifft uns im Publikum. Sollten wir uns schämen? Vielleicht. Oder zumindest erkennen, dass wir ihm ähnlicher sind, als wir wahrhaben wollen.

Inszenierung für Spaß und Verständigung

Was Romero Nunes mit „Was ihr wollt“ am BE gelingt, ist mehr als eine Aktualisierung eines Klassikers. Es ist eine Inszenierung, die Ernsthaftigkeit und Spaß, Reflexion und Vergnügen nicht gegeneinander ausspielt, sondern ineinander verschränkt.

Die Entscheidung, auf materielle Requisiten weitgehend zu verzichten und stattdessen auf die Verkörperung durch die Schauspieler:innen zu setzen, macht die Konstruiertheit des Theaters sichtbar – und gerade dadurch seine Wahrhaftigkeit. Hier zeigt sich, was gutes Ensemble-Theater vermag: eine Vielfalt an Generationen, sozialen Herkünften und Lebensentwürfen zusammenzubringen und durch gemeinsames Lachen und gemeinsames Erschrecken zu verbinden.

Dieser Text wurde am 23. November 2025 in Berlin veröffentlicht.
Patrick Pehl
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Patrick Pehl spielte eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung der Berateraffäre im Bundestag, insbesondere als führender Chronist des Untersuchungsausschusses. Als freier Journalist begleitete er den Ausschuss intensiv und berichtete umfassend über jede Sitzung. Pehl ist bekannt für seine detaillierte Parlamentsberichterstattung und hat sich den Spitznamen "Mister PUA" (Parlamentarischer Untersuchungsausschuss) verdient. Er initiierte auch einen Podcast zur Berateraffäre, in dem er die Entwicklungen des Ausschusses einem breiteren Publikum zugänglich macht. Seine Arbeit erfordert ein tiefes Verständnis der politischen Strukturen, das er durch jahrelange Erfahrung erlangt hat.
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