Vor einigen Wochen habe ich mich entschlossen dem Freundeskreis des Berliner Ensemble beizutreten und dem Haus nicht nur durch ein Abo meine Zuneigung auszudrücken. Es war ein Abend, als ich noch etwas in der Zeitschrift Theater Heute blätterte und mich entschlossen zeigte.
Ich tippte auf dem Display meines Tablets, weich gebettet auf Kissen im heimischen Schlafzimmer, auf der schwarz gestalteten Seite herum und schwupp, schon hatte mein Browser alle Daten automatisch ausgefüllt und ich übermütig auf „Mitglied werden“ getippt. „Sie sind nun Mitglied des Freundeskreises des Berliner Ensemble.“ stand unscheinbar, in winziger Schrift und etwas fehlplatziert auf meinem Endgerät.
Ein Akt persönlicher Widersetzung gegen jene, die das kulturelle Rückgrat dieser Stadt zu brechen versuchen. Ein Schritt aus Notwendigkeit in Zeiten, da der hochgelobte Sparwille eines Kai Wegner (CDU) und seines Kultursenators Joe Chiallo (CDU) die städtischen Theater in existenzielle Unsicherheit stürzt.
Wie ein russisches Sprichwort treffend sagt: „Unter einen liegenden Stein fließt nicht mal Wasser.“ Wer nichts tut, wird auch nichts erreichen. Diese Volksweisheit mahnt, dass nur aktives Handeln Veränderung bewirkt.
Die historischen Sünden der Berliner Kulturpolitik
Die Kulturlandschaft dieser Stadt wird derzeit affiziert von einer Rotstiftpolitik, die erschreckend an jene Austeritätssaisons erinnert, die Berlin bereits einmal an den Rand der kulturellen Bedeutungslosigkeit drängten. Die Sparwutorgien des Wegner-Senats wirken wie ein Echo jener Sünden der 1990er Jahre. Damals verkaufte man in sträflichem Leichtsinn das Tafelsilber der Stadt: hunderttausende landeseigene Wohnungen, Energiewerke, Wasserversorgung – alles fiel der Privatisierungseuphorie zum Opfer.

Bemerkenswert an dieser historischen Abfolge ist die Wandlung mancher Protagonisten. Da hält ein Gregor Gysi, einst als Wirtschaftssenator mitverantwortlich für den Ausverkauf städtischer Infrastruktur, als Alterspräsident des Bundestages eine Rede, in der er die Sünden der Vergangenheit geißelt – ohne allerdings seine eigene Urheberschaft dieser Heilslehre von Privatisierung auch nur zu erwähnen. Eine solche selektive Erinnerungskultur ist wahrlich ein Meisterstück politischer Vergebungstheologie.
CDU-Senat und die Vernichtung kultureller Räume
Nun wiederholt sich die Geschichte als Farce. Der neue Senat unter dem CDU-Mann Wegner betrachtet die Errungenschaften der letzten Jahre – den mühsamen Rückkauf von Wohnungsbeständen, die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe, die Stärkung der städtischen Infrastruktur – offenbar als deviante Abweichung vom Pfad finanzpolitischer Tugend. Was dem Volk nach Jahren des Kampfes zurückgegeben wurde, soll nun wieder dem Moloch des Kapitalüberschusses geopfert werden.
Die pauschalen Sparmaßnahmen treffen jeden Berliner hart: Die Mieten in landeseigenen Wohnungen stiegen zum 1. Januar 2025 um etwa 15 Prozent, das Monatsticket wurde durch die Streichung des „Berlin-Tickets“ doppelt so teuer! Dies trifft besonders Bürger mit kleinen und mittleren Einkommen.
Die Kultureinrichtungen erleiden diese Sparwut mit besonderer Härte. Theater, Opernhäuser, freie Spielstätten – sie alle sehen sich konfrontiert mit einem Kahlschlag, der nur als kultureller Selbstmord bezeichnet werden kann. Das Berliner Ensemble musste bereits seine Eintrittspreise um 15 Prozent anheben – eine schmerzhafte Maßnahme angesichts der ohnehin steigenden Lebenshaltungskosten.
Theater als sozialer Raum: Berlins kulturelles Immunsystem
Ein Theater kann man nicht einfach kaufen. Gewiss, man kann Gebäude erwerben, Künstler engagieren, Stücke finanzieren. Doch das Wesen der Bühne – jener immaterielle Raum der Begegnung – entzieht sich hartnäckig der Kommodifizierung. Es ist ein Ort, an dem die Hierarchien des Alltags teilweise außer Kraft gesetzt sind. Wo die Millionärin neben dem Studenten sitzt, beide vereint in der gemeinsamen Aufmerksamkeit für das Bühnengeschehen.
Ich habe diesen Gedanken bereits vor einigen Monaten ausgeführt: Das Theater bildet einen der letzten Räume, in denen nicht der Geldbeutel über die Qualität des Erlebnisses entscheidet. Ein Millionär mag sich den teuersten Platz leisten können, doch der Unterschied zum günstigsten Rang ist minimal – und mit Vergünstigungen wie der BE-Card für viele erschwinglich. Hier fehlen die Statusjäger und Influencer-Karawanen, die sonst jeden kulturellen Raum in einen Laufsteg verwandeln.
Die Bürger Berlins gegen kulturelle Kahlschlagspolitik
Warum dieses blinde Rasieren gerade dort, wo kulturelle Vielfalt ohnehin schon am seidenen Faden hängt? Ist es Gedankenlosigkeit oder steckt dahinter die Genugtuung jener, die Kunst als Luxus betrachten? Ein solches Denken verkennt den Charakter der Kultur als gesellschaftlichen Klebstoff, als Band, das Menschen über soziale Grenzen hinweg verbindet.
Die kulturzerstörerischen Auswirkungen dieser Sparpolitik manifestieren sich bereits allerorten. In der Staatsoper und dem Staatsballet führt die Mittelkürzung zu einem drastischen Rückgang der Aufführungszahlen, was kulturelle Verteilungskämpfe entfacht, in denen jene triumphieren, die über die richtigen Beziehungsnetzwerke verfügen. Eine Bekannte – kulturhungrig und schwanenseebegeistert – versucht seit zwei Spielzeiten vergeblich, eine Eintrittskarte für die beliebte Ballettaufführung zu ergattern, während die Kartenkontingente, kaum veröffentlicht, bereits in den undurchsichtigen Kanälen der Kulturelite verschwinden. Solche Angebotsverknappung schafft Exklusivität, wo einst Zugänglichkeit herrschte – ein Musterbeispiel dafür, wie der Sparwahn die demokratische Kulturlandschaft in ein Privileg zurückverwandelt.
Man muss kein Marxist sein, um zu erkennen, dass diese Stadt ihre Theater nicht nur aus ästhetischen Gründen braucht. Sie sind Versammlungsorte, Denkfabriken, Laboratorien gesellschaftlicher Selbstverständigung. In einer Zeit, da der öffentliche Raum zunehmend privatisiert wird, bieten sie Zuflucht für jene Form des Miteinanders, die sich nicht in Konsumptionsakte übersetzen lässt.
Mein Beitritt zum Freundeskreis des Berliner Ensembles ist daher mehr als eine private Entscheidung. Es ist der Versuch, meinen Lieblingsfreizeitort in meiner Heimatstadt zu bewahren.
Kulturelle Solidarität: Ein Aufruf zum Handeln
Natürlich verstehe ich alle, die nichts mit dem Kultursektor am Hut haben. Nicht jeder kann diesen Weg gehen. Doch wer die Möglichkeit hat, sollte sie ergreifen – sei es durch Mitgliedschaften, Spenden oder regelmäßige Theaterbesuche.
An dieser Stelle sei gesagt: Wer es sich leisten kann, muss aufhören, sich an Vergünstigungen heranzuschleichen. Studierende mit großzügigem Einkommen oder Rentner mit Mieteinkünften, die Rabatte in Anspruch nehmen – solche Rabauken handeln nicht solidarisch, sie sind wie Mr. Burns in jener Simpsons-Szene in der Kirche, der trotz seines Reichtums knausert. Was uns von der Tierwelt unterscheidet, ist die Menschlichkeit – selbst Tiere haben Mitgefühl füreinander. Es ist ein Akt der Emanzipation, sich solidarisch zu zeigen und Kontingente für jene freizuhalten, die sie wirklich brauchen.
Dies entbindet den Senat selbstverständlich nicht von seiner Pflicht, die kulturelle Infrastruktur angemessen zu fördern. Bürgerliches Engagement kann staatliche Unterstützung ergänzen, nicht ersetzen. Es wäre vermessen zu glauben, die Privatinitiative einiger Theaterliebhaber könne systematische Unterfinanzierung ausgleichen. Zumal die Steuern der Bourgeoisie – das notorisch unterbesteuerte Kapital – gerade dafür erhoben werden sollten, gemeinschaftliche Güter wie Kultur zu ermöglichen.
Berlins Theater: Unersetzliche Räume der Gemeinschaft
Man fragt sich: Haben Wegner und Chiallo (CDU) je die transformative Kraft eines Theaterabends am eigenen Leib erfahren? Haben sie je gespürt, wie eine großartige Inszenierung die Welt für Stunden zum Stillstand bringen kann? Man möchte es bezweifeln.
Noch ist es nicht zu spät für eine Kurskorrektur. Der CDU-Senat könnte erkennen, dass Kulturabbau keine Politik der Vernunft ist, sondern kurzsichtiger Vandalismus am Gemeinwesen. Die mühsam wiedererrichtete Kulturlandschaft Berlins darf nicht erneut dem finanzpolitischen Kahlschlag zum Opfer fallen.
Wir Bürger dieser Stadt sind aufgerufen, unsere Stimme zu erheben – nicht nur im Wahllokal, sondern durch aktive Unterstützung jener Institutionen, die Berlin zu mehr machen als einer Ansammlung von Wohngebäuden und Einkaufszentren. Diese Kristallisationspunkte gesellschaftlicher Selbstreflektion, diese Begegnungsstätten in einer zunehmend atomisierten Gesellschaft schaffen jenen essentiellen Raum unmittelbarer menschlicher Interaktion, den wir für eine funktionierende Demokratie so dringend benötigen. Sie sind keine entbehrlichen Luxusgüter, sondern Überlebensanker in Zeiten fortschreitender Kulturvergessenheit.
In diesem Sinne verstehe ich meinen Beitritt zum Freundeskreis des BE als kleinen, aber notwendigen Beitrag zur Rettung dessen, was Berlin ausmacht: seine lebendige, vielfältige, manchmal widerspenstige Kultur. Der Senat mag sparen. Wir Bürger dieser Stadt werden nicht tatenlos zusehen, wie unser kulturelles Erbe verscherbelt wird. Nochmals.