Ein zehn Meter hoher schwarzer Würfel dominiert die Bühne des Berliner Ensembles, dreht sich wie ein gewaltiger Metaphernkörper und lässt durch seine Spalten kaltes Licht in den Zuschauerraum schneiden. In dieser geometrischen Präzision verhandelt das BE Jean-Paul Sartres „Die schmutzigen Hände“ als spektakulär-aktuelle Frage nach der Rolle des Intellektuellen zwischen Denken und Handeln.
Historische Resonanzräume
Auf der Drehbühne des Theaters am Schiffbauerdamm, wo einst Brechts dialektische Dramatik die Bühne beherrschte, spielt das Berliner Ensemble gegenwärtig eine durchaus bemerkenswerte Neuinterpretation von Jean-Paul Sartres existenzialistischem Schlüsselwerk „Die schmutzigen Hände“. Die Aufführung im ehemaligen Ost-Berliner Theaterhaus schlägt einen faszinierenden Bedeutungsbogen vom französischen Nachkriegsexistenzialismus in die deutsche Postwendemoderne – eine Transformationsleistung, die sich in Bühnenbild und Inszenierungssprache gleichermaßen manifestiert.
Tektonik des politischen Raums
Das Bühnenbildkonzept besticht durch seine architektonische Präzision und metaphorische Durchdringung: Ein zehn Meter messender Schwarzkubus aus minutiös arrangierten Palettenhölzern rotiert auf der historischen Drehbühnenanlage, deren imposanter Zwölf-Meter-Durchmesser die technische Grandezza des Theaterhauses bezeugt. Die Gesamtkomposition, eingebettet in den vierzehn Meter breiten Bühnenraum, entwickelt eine überwältigende Raumchoreografie der politisch-philosophischen Konfliktlinien.
Die Palettenkonstruktion – gleichzeitig rohes Industrieprodukt und präzises Architekturelement – wird zum vielschichtigen Bedeutungsträger. Ihre schwarzen Spalten fungieren als Lichtdurchlässe, die das Bühnengeschehen in eine komplexe Helldunkel-Dialektik tauchen.
Licht-Dramaturgie
Mal durchschneidet kaltes, hartes Licht den Zuschauerraum, mal modelliert farbige Illumination die Raumtiefen des Kubus. Die zu Beginn und Ende mit durchdringendem Knallgeräusch zusammenklappenden Seitenwände markieren dabei nicht nur dramaturgische Zäsuren, sondern symbolisieren auch das gewaltsame Zusammenbrechen intellektueller Distanzierungsversuche.
In diesem abstrakt-präzisen Raumgefüge entfaltet sich das Drama um den Intellektuellen Hugo, dessen „zarte Hände“ sich nach revolutionärer Tathandlung sehnen – eine Sehnsucht, die in der Post-Wende-Perspektive des Hauses neue Resonanzräume erschließt. Die Kostümierung, die gekonnt zwischen westlicher Businesseleganz und östlicher Funktionalästhetik changiert, unterstreicht diese zeitgenössische Lesart.
Biografische Resonanzen und handfeste Sehnsucht
In diesem abstrakt-präzisen Raumgefüge entfaltet sich das Drama um den Intellektuellen Hugo, dessen „zarte Hände“ sich nach revolutionärer Tathandlung sehnen – eine Sehnsucht, die in der Post-Wende-Perspektive des Hauses neue Resonanzräume erschließt. Diese Sehnsucht nach dem Handfesten wird für den Betrachter unmittelbar nachvollziehbar: Als Spross einer DDR-geprägten Familie, in der die Großelterngeneration den akademischen Aufstieg in Handelsdirektion und Rechtswesen vollzog, während die Eltern- und Tantengeneration in einfacheren Berufen verblieb, spiegelt sich im eigenen Werdegang die Entfernung von der physischen Arbeit. In den gut geheizten Büroräumen der Hauptstadt, fernab von Werkbank und Acker, manifestiert sich diese Distanz zum Handfesten – nur unterbrochen von der Episode des Militärdienstes in der Heeressanität der Luftlandetruppe, deren Erinnerung der Kopf längst verklärt hat. Hugos Sehnsucht nach der Tat wird so zur Reflexionsfläche eigener biografischer Erfahrung. Die Kostümierung, die gekonnt zwischen westlicher Businesseleganz und östlicher Funktionalästhetik changiert, unterstreicht diese zeitgenössische Lesart.
Die Drehbühnenmechanik ermöglicht dabei multiple Perspektivwechsel auf den ewigen Konflikt zwischen Theoriearbeit und Praxiszwang, zwischen moralischem Absolutheitsanspruch und realpolitischer Kompromissnotwendigkeit. In der räumlichen Choreografie, wenn etwa Lili Epplys Jessica hinter der Palettenwand verharrt, während Marc Oliver Schulzes Hoederer und Paul Zichners Hugo ihre ideologischen Positionskämpfe austragen, materialisiert sich die Gleichzeitigkeit verschiedener Realitätsebenen.
Dialektik der Transformation
Das Zwielicht der Existenz des Hugo findet in der differenzierten Lichtdramaturgie seine bühnenbildnerische Entsprechung. Während im Außenraum die politischen Machtkämpfe eskalieren und schließlich die National-Liberalen ihre Herrschaft etablieren, wird der intellektuelle Innenraum zum Schauplatz existenzieller Zerrissenheit. Die Spalten im schwarzen Würfelgefüge werden zur architektonischen Metapher für die Durchlässigkeit vermeintlich gesicherter Ideologiegebäude.
Resonanzen der Geschichte
Die Inszenierung am historischen Ort des Berliner Ensembles gewinnt dabei eine zusätzliche Bedeutungsebene: Die Analyse des revolutionären Intellektuellen aus der Feder des westgebundenen Sartre, dessen eigene Position im Nachkriegsfrankreich von transatlantischer Orientierung geprägt war, trifft hier auf die spezifische Atmosphäre eines postwiedervereinigten Theaters. In den Räumen des ehemaligen Ost-Berliner Theaterhauses verdichtet sich so die deutsch-deutsche Transformationsgeschichte zu einer neuen Lesart des revolutionären Dilemmas. Der präzise konstruierte Bühnenraum wird so zum Resonanzkörper verschiedener historischer Schichten – von Brechts dialektischem Theater über den Existenzialismus bis zur postsozialistischen Gegenwart.
Diese Vielschichtigkeit findet ihre formale Entsprechung in der abstrakten, aber nie reduktionistischen Bühnensprache. Mit Tarkowski gesprochen, zwingt sie uns vom oberflächlichen „Schauen“ zum vertieften „Sehen“ überzugehen. Die poetische Verknüpfung von Form und Inhalt macht die philosophische Komplexität des Stoffes nicht nur intellektuell erfassbar, sondern sinnlich erlebbar.
Der rotierende Schwarzkubus wird zum Sinnbild für die unauflösbare Verstrickung des Intellektuellen in die Widersprüche politischen Handelns – ein zeitloses Dilemma, das in der präzisen Abstraktion des Bühnenbilds neue Dringlichkeit gewinnt. Die Inszenierung schafft damit nicht nur eine Neuinterpretation des existenzialistischen Schlüsselwerks Sartres, sondern auch eine reflexive Standortbestimmung des zeitgenössischen politischen Theaters im wiedervereinigten Deutschland.