Einsparungen bei Kultur

Der Traum ist aus! Klares kaltes Wasser für die Kultur in Berlin

„Der Traum ist aus” sang einst Rio Reiser, „Kaltes klares Wasser” Gudrun Gut von Malaria. Beide Songs entstanden in den 80ern, als West-Berlin noch Insel der Kreativen und Außenseiter war. Heute klingen sie wie düstere Prophezeiungen für die Kulturmetropole an der Spree. Denn die Berliner Kulturszene steht vor massiven Kürzungen, die viele Einrichtungen hart treffen werden.

Die schwarz-rote Koalition in Berlin plant, den Landeshaushalt in den kommenden Jahren deutlich zusammenzustreichen – um bis zu fünf Milliarden Euro bis 2026. Auch der Kulturetat soll um bis zu zehn Prozent gekürzt werden. Das trifft die Kulturszene der Hauptstadt ins Mark.

Theater, Museen, Bibliotheken, Opern- und Konzerthäuser schlagen Alarm. Bei Kürzungen in diesem Ausmaß seien massive Einschnitte im Programm und beim Personal unvermeidbar bis hin zu drohenden Schließungen. Berlin drohe ein Kahlschlag im Kulturbereich mit unabsehbaren Folgen für die Attraktivität und Anziehungskraft der Stadt.

Joe Chialo – ein Kultursenator ohne Gespür für die Szene?

Umso befremdlicher wirken da die Prioritäten von Kultursenator Joe Chialo (CDU). Der gelernte Musik- und Eventmanager sieht Kultur primär als Wirtschaftsfaktor. So fördert er bevorzugt kommerzielle Formate wie Großevents und Clubs, die sich auch selbst tragen könnten. Die subventionierten Häuser und die freie Szene bleiben auf der Strecke.

Hier rächt sich, dass mit Chialo jemand zum obersten Kulturhüter der Stadt berufen wurde, der die Nöte und Belange des öffentlich geförderten Kulturbetriebs nicht von innen kennt. Für ihn scheint Kultur vor allem ein Business zu sein, das möglichst viele Besucher und Geld in die Stadt spülen soll. Doch diese Rechnung geht nicht auf. Kultur ist kein Sternerestaurant für betuchte Touristen, sondern ein Grundnahrungsmittel für die Stadtgesellschaft.

Kultur in Berlin – Kein Luxus, sondern Elixier?

Die Sorgen und Nöte der Kultureinrichtungen sind nachvollziehbar. Viele kämpfen nach den Belastungen der Pandemiejahre um ihre Existenz. Sie sind auf die öffentliche Förderung angewiesen. Gerade die freie Szene, die Berlin so besonders macht, wäre überproportional betroffen.

Doch bei aller Sympathie für die Kulturschaffenden drängt sich auch ein Unbehagen auf. Ist die hochsubventionierte Kulturszene nicht längst abgehoben von den realen Nöten der Bevölkerung? Für viele Berliner sind die Ticketpreise der großen Häuser nihct wirklich erschwinglich, da deutliche Eintrittsbarrieren vorhanden sind. Die Debatte wirkt wie ein Stellungskampf privilegierter Eliten.

Gewiss, Kultur ist kein beliebiger Luxus, sondern elementarer Teil einer lebenswerten Stadt. Aber dann muss sie auch allen offenstehen. Niedrigschwellige Angebote, kulturelle Bildung, Projekte in den Kiezen – hier müssten die Prioritäten liegen. Stattdessen hört man vor allem das Klappern der großen Player.

Natürlich profitiert auch Berlin als Ganzes von seiner pulsierenden Kulturszene. Sie lockt Touristen und Talente aus aller Welt an. Aber dieser Effekt darf nicht überschätzt werden. Viele kommen wegen der Clubszene, der Start-up-Kultur oder einfach des Flairs der Stadt. Die Hochkultur spielt da eine untergeordnete Rolle.

Kulturförderung mit dem Rasenmäher

Gewiss müssen auch die Kultureinrichtungen ihren Sparbeitrag leisten. Aber ein pauschales Rasenmäherprinzip ist der falsche Weg. Es braucht vielmehr eine inhaltliche Debatte über Sinn und Zweck der Kulturförderung: Wo sind die Mittel am effektivsten eingesetzt? Wie können sie gerechter verteilt werden – zwischen etablierten Häusern und freier Szene, zwischen Sparten und Stadtteilen? Wie gelingt mehr kulturelle Teilhabe gerade von marginalisierten Gruppen? Wie kann die Förderung agiler und innovativer auf neue Formate und Bedarfe reagieren?

Parallel braucht es neue Modelle für eine diversifizierte und krisenfeste Kulturfinanzierung – auch jenseits der öffentlichen Hand. Nicht zuletzt sind die Häuser selbst gefragt, Synergien und Effizienzpotenziale zu heben.

Kulturlose Spardebatten

So bitter es ist: Die Kürzungen im Kulturetat sind auch eine Chance für einen Realitätscheck. Berlin muss sich ehrlich machen, was es sich noch leisten kann und will. Eine Stadt, die jeden sechsten Euro für Zinsen ausgibt, kann nicht so weitermachen wie bisher.

Alle werden Federn lassen müssen – auch die Leuchtturmprojekte der Hochkultur. Vielleicht ist das auch heilsam. Ein Kulturleben, das sich mehr an den Bedürfnissen der Bewohner als am Glanz der Feuilletons orientiert, könnte lebendiger und integrativer sein.

Bequem wird dieser Umbau nicht. Er erfordert schmerzhafte Schnitte und heilige Kühe. Vor allem aber braucht es ein Umdenken: Weg vom Anspruchsdenken, hin zu kreativen Lösungen und neuen Allianzen.

Die fetten Jahre sind vorbei. Das muss kein Nachteil sein, wenn dadurch die Bindung zwischen Stadtgesellschaft und Kulturleben wieder enger wird. In diesem Sinne können die Spardebatten bei allem Frust auch heilsam sein.

Dieser Text wurde am 21. Oktober 2024 in Berlin veröffentlicht.
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Pehl Patrick

Patrick Pehl spielte eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung der Berateraffäre im Bundestag, insbesondere als führender Chronist des Untersuchungsausschusses. Als freier Journalist begleitete er den Ausschuss intensiv und berichtete umfassend über jede Sitzung. Pehl ist bekannt für seine detaillierte Parlamentsberichterstattung und hat sich den Spitznamen "Mister PUA" (Parlamentarischer Untersuchungsausschuss) verdient. Er initiierte auch einen Podcast zur Berateraffäre, in dem er die Entwicklungen des Ausschusses einem breiteren Publikum zugänglich macht. Seine Arbeit erfordert ein tiefes Verständnis der politischen Strukturen, das er durch jahrelange Erfahrung erlangt hat.