Jenseits der Metropolen

Formationslichter der deutschen Theaterlandschaft

Illustration eines fiktiven deutschen Stadttheater

Bekannterweise bin ich gern im Theater, und das Haus, dem meine besondere Verbundenheit gilt, ist das Berliner Ensemble. Das ist Hochkultur auf allerhöchstem Niveau. Hier sind einige Schauspieler vereint, die wohl zu den Besten des gesamten deutschsprachigen Raumes zählen. Die Wahrhaftigkeit wird hier durch die Maske des Schauspiels enorm gut erzeugt.

Doch während der Berliner Theaterhimmel von solch hellen Sternen erleuchtet wird, erstreckt sich das Firmament der deutschen Bühnenkunst weit über die Grenzen der Hauptstadt hinaus. Ein faszinierendes Geflecht aus Lichtern unterschiedlichster Intensität durchzieht das Land – ein komplexes System kultureller Leuchtfeuer, das es zu erkunden gilt.

Land der Regionen

Während die Flakscheinwerfer der Metropolen ihre dominanten Lichtkegel gen Himmel werfen, sind es die Formationslichter der regionalen Bühnen, die durch ihr koordiniertes Zusammenspiel erst die wahre Orientierung in der deutschen Theaterlandschaft ermöglichen. Sie bilden jene unverzichtbaren Referenzpunkte, ohne deren Präzision selbst die machtvollsten Leuchtfeuer der Großstädte im kulturellen Äther verblassen würden.

Diese Erkenntnis verdanke ich nicht zuletzt meiner Tätigkeit bei einem namhaften Verlag, in dem unter anderem die Theater heute oder die Opernwelt erscheinen. Ein Blick in diese Publikationen offenbart die erstaunliche Dichte des kulturellen Geflechts: Von Annaberg-Buchholz bis Kiel, von Görlitz bis Ulm erstreckt sich ein Netzwerk von Bühnen, deren künstlerische Strahlkraft sich keineswegs hinter den großen Häusern verstecken muss.

Betrachtet man die aktuellen Spielpläne, so zeigt sich die beeindruckende Bandbreite: In Görlitz wird am Stadttheater der „Geizige“ nach Molière geboten, am Stadttheater Gießen erwacht Kästners „Fabian“ zum Leben, und in Ulm marschiert Brechts „Mutter Courage“ über die Bretter. Und in Magdeburg wir etwa Schneewittchen als Ballett gespielt. Diese Inszenierungen beweisen, dass große Dramatik auch auf vermeintlich kleinen Bühnen ihre volle Wirkung entfalten kann.

Kulturelle Entdeckungsreise fernab der Metropolen

Es ist ein besonderes Merkmal unserer föderalen Kulturlandschaft, dass diese Formationslichter der Kunst nicht etwa in unerreichbaren Winkeln flackern, sondern sich dank eines engmaschigen Schienennetzes wie Perlen an einer Kette aufreihen. Die Theater, meist in den historischen Stadtkernen beheimatet, sind durch Regionalbahnen und Expresszüge vortrefflich erschlossen. Eine Matinee in Weimar, eine Abendvorstellung in Erfurt – die Kombination aus dezentraler Kulturpflege und durchdachter Infrastruktur macht solche Theaterreisen zu mühelosen Unternehmungen. Selbst entlegenere Spielstätten lassen sich dank des doch recht dichten Verkehrsnetzes mühelos in einen Tagesausflug verwandeln. Diese Verschränkung von Kultur und Mobilität ist ein oft übersehenes Privileg unserer flächendeckend ausgebauten Republik – ob nun mit dem Auto, der Bahn oder gar dem Flugzeug.

Auf zu den Bühnen in der Umgebung

Lassen Sie uns dieses Privileg nicht ungenutzt verstreichen. Die kommenden Monate bieten die perfekte Gelegenheit, die Regionalbahn zu einem dieser leuchtenden Kulturorte zu besteigen. Vielleicht entdecken Sie in Eisenach eine Inszenierung, die Sie tief berührt, oder erleben in Rostock eine Aufführung, die Ihnen neue Perspektiven eröffnet. Die Spielpläne sind reich, die Verbindungen per Bahn oder Flugzeug gut getaktet, und die Theater warten darauf, auch Sie in ihren Bann zu ziehen. Nutzen wir die Gunst unserer kulturellen Reichhaltigkeit – sie ist ein Geschenk, das es zu würdigen gilt.

Dieser Text wurde am 2. Januar 2025 in Berlin veröffentlicht.
Patrick Pehl
Profilbild von Patrick Pehl
Patrick Pehl spielte eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung der Berateraffäre im Bundestag, insbesondere als führender Chronist des Untersuchungsausschusses. Als freier Journalist begleitete er den Ausschuss intensiv und berichtete umfassend über jede Sitzung. Pehl ist bekannt für seine detaillierte Parlamentsberichterstattung und hat sich den Spitznamen "Mister PUA" (Parlamentarischer Untersuchungsausschuss) verdient. Er initiierte auch einen Podcast zur Berateraffäre, in dem er die Entwicklungen des Ausschusses einem breiteren Publikum zugänglich macht. Seine Arbeit erfordert ein tiefes Verständnis der politischen Strukturen, das er durch jahrelange Erfahrung erlangt hat.