Die St. Hedwigskathedrale öffnete am 1. Mai, dem Fest des heiligen Joseph des Arbeiters (seit 70 Jahren), ihre Pforten für das Pontifikalrequiem des verstorbenen Papstes Franziskus. Die Feierlichkeit fand nur Tage nach dem exklusiven Requiem der Bischofskonferenz statt, das der gewöhnliche Gläubige lediglich aus der Ferne bestaunen durfte.
Mir ist das Gotteshaus sehr wichtig und im Innern klaffte während des Pontifikalrequiems in der St. Hedwigskathedrale in Berlin-Mitte eine trübselige Leere, obwohl zahlreiche Plätze geladene Gäste reserviert waren. Das zeigt die wohl verdient schwindende Relevanz der römischen Kirche – des Heiligen – in unserer suchenden Gesellschaft.
Kirche übersieht einfache Leute
Selbst der angekündigte Kultursenator Joe Chiallo glänzte durch Abwesenheit. Wie nun klar ist vermutlich weil er einen Tag später von seinem Amt zurück getreten ist. Während hastig rekrutierte Lückenfüller von den hinteren Reihen nach vorn beordert wurden, um für den Livestream den Anschein einer vollen Kathedrale udn damit von Akzeptanz udn Relevanz zu wahren. Die Zuspätkommer erschienen mit jener Nonchalance ihrer sozialen Stellung – darunter ein augenscheinlich wohlsituierter junger Mann mit ordinärer Sonnenbrille. Er wurde anders als ein einfach aussehender Jungen in Adidas-Trainingsanzug von einem Platzanweiser zum Sitz geführt.
Am Portal stand derweil jener Jugendliche in Adidas-Trainingsjacke, dessen andächtige Haltung von tieferer Verbundenheit zeugte und später sogar mit nacktem Knie auf dem Steinboden kniete, um seine Anbetung auszudrücken. Der neuerdings angeheuerte Sicherheitsdienst entschied, den vermögenden Spätankömmling zu geleiten, während der schlicht gekleidete Bengel ohne Sitzgelegenheit und Kniebank ausharren sollte.
Ständig erreichbare Arbeiter
Dreimal durchbrach das Läuten von Mobiltelefonen die Ruhe der Requiem-Liturgie – ein akustisches Sinnbild für den modernen Arbeiter, dessen Freiheit durch permanente Erreichbarkeit konterkariert wird. Was würde der heilige Joseph zu dieser Entweihung sagen, dessen Schaffen am Tag der Arbeit im Fest Joseph der Arbeiter seit 1955 formalisiert gewürdigt wird?
Der Blick durch die Kathedrale offenbart eine Versammlung, deren demografisches Profil das Schwinden der Kirche vorwegnimmt. Die umgestaltete Kirche mit fehlenden Oberlichtern, unergonomischen Bänken und mangelhafter Akustik errichtet praktische Nutzungsbarrieren.
Für mich, der ich hunderte Stunden in diesem Gotteshaus verbracht habe, manifestiert sich in dieser Szene die tiefgreifende Krise einer Institution, die vergessen hat, wem sie zu dienen berufen ist – nicht den Großkopferten, sondern jenen am Rande, denen man in diesem Haus scheinbar keinen Platz mehr in der Kirche zeigt.