Wie war's im Berliner Ensemble

Gefangen im Kreislauf: „The Writer“

Als der letzte Ton verklang, saß ich im Theater am Schiffbauerdamm, gefangen zwischen zwei Welten – der Realität und dem emotionalen Abgrund, in den mich Ella Hicksons “The Writer” gestürzt hatte. Mein Hirn war getränkt in Emotionen, mein Herz drückte Botenstoffe durch meinen hilflosen Körper. Ich war mehr als nur berührt – ich war aufgerissen, bloßgelegt, zerschmettert.

Die erste Szene traf mich wie ein Blitz. Pauline Knof als Protagonistin, heimkehrend in eine Welt der Erwartungen, die sie nicht erfüllen konnte. Ihr Gesicht – eine Maske der Erschöpfung, gezeichnet von der Zufriedenheit des Schaffens, aber bar jeder Freude. In ihren Augen sah ich mich selbst, gefangen im ewigen Kampf zwischen künstlerischer Erfüllung und den gnadenlosen Forderungen des Alltags. Es war, als hätte jemand meine dunkelsten Momente auf die Bühne gezerrt.

Knofs Darstellung war mehr als Schauspiel – es war eine Vivisektion meiner Seele. Jede ihrer Gesten, jeder Blick schnitt tief in mein Innerstes. Ich fühlte physischen Schmerz, als ich die Qualen der Protagonistin miterlebte – das Ringen um Verständnis in einer Beziehung, wo der Partner blind ist für die Tiefen des kreativen Abgrunds. Wie oft hatte ich selbst vor diesem Abgrund gestanden, schreiend nach Verständnis, nur um Leere zu ernten?

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Die Sofa-Szenen waren ein Kaleidoskop der Verzweiflung. Jede Bewegung, jede Nuance in der Körpersprache erzählte von der Tragödie der menschlichen Existenz. Von der Langeweile einer erloschenen Leidenschaft bis zur kurzen Euphorie der Neuentdeckung und zurück in die Fänge der Konformität – ich durchlebte jeden Moment, als wäre es mein eigenes Leben, das dort seziert wurde.

Mit jeder Szene wurde mir schmerzlich bewusst: Wir bewegen uns in Spiralen, nicht in geraden Linien. Die Protagonistin durchlebte Konflikte, die mir nur allzu vertraut waren – und doch sah ich in ihren neuen Kämpfen meine alten gespiegelt. Wie oft hatte ich geglaubt, mich weiterentwickelt zu haben, nur um festzustellen, dass ich vor den gleichen Problemen stand, wenn auch in neuem Gewand? Das Stück zeigte unbarmherzig, wie wir in unserem kreativen Streben immer wieder an ähnliche Punkte zurückkehren, gefangen in einem Tanz aus Fortschritt und Regression.


Der Dialog mit der griechischen Mutter Natur hallte in mir nach wie ein uralter Gesang. Er riss alte Wunden auf, erinnerte mich an die Kämpfe mit meinem eigenen Dämon der Kreativität. Ich fühlte mich wie Leda, verführt und transformiert von einer höheren Macht, gefangen zwischen Ekstase und Verzweiflung. War ich nicht selbst immer wieder Dionysos und Leda zugleich – berauscht von der Kraft des Schaffens und doch Opfer meiner eigenen Ambitionen?

Tagelang nach der Aufführung wandelte ich wie ein Geist durch mein Leben. Der Bodennebel der Erkenntnis umhüllte mich, drohte mich zu ersticken. Ich suchte verzweifelt nach dem Ventilator, der diesen Nebel vertreiben könnte, tastete blind nach der Steckdose der Erleuchtung. Doch die Kraft zur Veränderung schien unerreichbar, verborgen hinter Mauern aus Angst und Gewohnheit.

The Writer” war keine Aufführung – es war ein Ritual der Selbstzerstörung und Neuerschaffung. Es zwang mich, jede Schicht meines Seins abzustreifen, mich nackt und verletzlich der grausamen Wahrheit zu stellen: Wir sind gefangen im ewigen Kreislauf des Schaffens, verdammt dazu, uns immer wieder neu zu erfinden, nur um am Ende vor den gleichen Abgründen zu stehen.

Und doch, in den Tiefen dieser Verzweiflung, keimte ein winziger Funke Hoffnung. Vielleicht liegt in diesem Kreislauf nicht nur unser Fluch, sondern auch unsere Erlösung. In jedem Durchgang, in jeder schmerzhaften Häutung, kommen wir unserem wahren Selbst ein Stück näher.

Als ich schließlich das Theater verließ, war ich nicht mehr derselbe Mensch. “The Writer” hatte mich zerschmettert und neu zusammengesetzt. Ich trat hinaus in die Nacht, verwundet, erschöpft, aber lebendig wie nie zuvor – bereit, mich erneut in den Strudel des Schaffens zu stürzen, in der ewigen Hoffnung, diesmal vielleicht, nur vielleicht, dem Geheimnis meiner Existenz ein Stück näher zu kommen.