Berlin, Unter den Linden. Die Frühlingssonne legt einen goldenen Schimmer über die Prachtstraße, während die Wärme den Asphalt zum Flimmern bringt. Die umliegenden Straßen sind menschenleer, abgeriegelt von Polizeibeamten, die zu allem bereit schienen.
Die St. Hedwigskathedrale erhebt sich in majestätischer Isolation, während der übliche Großstadtlärm im Schatten der Staatsoper verstummt. Nur eine einzelne Limousine darf in der Zufahrtsstraße verweilen – der Wagen des apostolischen Nuntius mit dem Kennzeichen „0-10“, ein Diplomatenkennzeichen mit der Bedeutung von Goldbeschlag. Ich hatte das Glück bei diesem bedeutenden Termin eingeladen zu sein.
Im Inneren der frisch restaurierten Kathedrale – ein Raum von kühlem Weiß mit schwarzen Applikationen – versammelte sich heute Vormittag das Who-is-Who der deutschen Politik. Währenddessen war die Stadt ausgeladen, und um das zu unterstreichen standen Absperrgitter um das Areal, bewacht von einer Hundertschaft von Polizisten mit gepanzertem Gefangentransportfahrzeug und martialisch auf die Prachtmeile platzierten Polizeiwannen. Das Pontifikalrequiem für Papst Franziskus wurde zur Bühne eines doppelten Schauspiels: der Trauer um einen Pontifex und der lautlosen Staffelübergabe der Macht. Bundespräsident Steinmeier, Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, der designierte Kanzler Friedrich Merz – in wenigen Tagen wird er vereidigt – bildeten nur die Spitze des Prominenteneisbergs.
Der noch-Oppositionsführer Merz legte einen Auftritt hin, der nicht großmannssüchtiger hätte sein können. Platziert neben der zweiten Frau im Staate, der Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, schien er bereits seine künftige Rolle zu antizipieren. Klöckner hingegen wusste zwar ebenfalls um ihre Wirkung, trat jedoch weitaus besonnener auf. Der Bundespräsident indes hielt sich zurück – eine selbstauferlegte Zurückhaltung, die im Kontrast zum ambitionierten Auftreten seines künftigen Regierungschefs stand.

Zwischen Bauministerin Klara Geywitz, NRW-Minister Karl-Josef Laumann, dem designierten Ka nzl eramtsminister Thorsten Frei, Ex-Minister Jens Spahn und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann konnte man zwei Typen von Besuchern unterscheiden: jene, die aus wahrem Interesse gekommen waren, und jene, die einen von ihrem Kalender gesteuerten Pflichttermin abarbeiteten. In einer unscheinbaren Ecke stand ein sichtlich gerührter Volker Kauder, während der katholische Konvertit Philipp Amthor mit aufrichtigem, unverhohlenem Ernst dem Geschehen folgte.
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz sprach davon, wie die Kirche aus dem Inneren dieses Raumes nach außen wirkt – eine Botschaft, die angesichts der Exklusivität der Veranstaltung einen schalen Beigeschmack hinterließ. Die Inszenierung suggerierte eine gesellschaftliche Relevanz, die mit den steigenden Austrittszahlen kontrastiert. So blieb das Pontifikalrequiem ein Paradoxon: Die Kirche, die für alle offen sein sollte, schloss an diesem Tag alle aus, die keine politische oder diplomatische Bedeutung hatten, anders als es beispielsweise Rom praktiziert wurde. Stattdessen gibt es in Berlin einige Tage später eine Messe für den Pöbel – ob das dem armenliebenden Papst Franziskus gefallen hätte bleibt offen. Der Berliner Erzbischof Heiner Koch ist ein beliebter und guter Hirte für die Stadt und sein anvertrautes Bistum – ein Mann der Offenheit.

So tanzen beide Seiten einen komplizierten Reigen gegenseitiger Interessenwahrung, bei dem letztlich keine gewinnt: Die Kirchenoberen inszenieren eine gesellschaftliche Relevanz, die mit jeder Austrittswelle weiter schwindet, während die Politik einen moralischen Überbau sucht, der zunehmend instabil wird. Die Coronazeit hat diese Entfremdung nur verstärkt – selbst überzeugte Katholiken wie Bundestagspräsidentin Julia Klöckner fanden sich kürzlich enttäuscht von einer Institution, die in der Krise oft schwieg.
Dennoch verfolgen derweil Millionen Deutsche das Mediengerangel um den verstorbenen Papst – fasziniert von einem Ereignis, dessen rituelle Bedeutung sie längst nicht mehr teilen. Beispielsweise explodieren die Abrufzahlen des Films Conclave seit dem Tod des Pontifex Maximus. Einzig die ZDF-Kameras durchbrechen die hermetische Abschottung und machen die Fernsehzuschauer zu Zaungästen einer Veranstaltung, die eigentlich den Katholiken des Bistums Berlin und denen im ganzen Land gehören sollte. Stattdessen schleichen Polizisten durch die Reihen und latschen über die Kniebänke, stellen protestantische Führerinnen Plastikflaschen unterm Stuhl ab.
Als sich nach dem letzten Segen die Türen des vergleichsweise schmächtigen Rundbaus öffneten, strömte die Frühlingssonne in den Raum – ein symbolischer Moment, der mehr verriet als alle gesprochenen Worte: Das sakrale Schauspiel war vorüber, das Politische geht jetzt erst los.