Interviews

Politische Interviews meistern: Was zu beachten ist

Journalist Patrick Pehl im Interview mit Haushaltspolitiker Kay Gottschalk © Kenny Dettmers

Politik und Interviews in Online-Medien prägen die heutige Medienlandschaft. Trotz neuer Formate wie Podcasts haben sich die grundlegenden Herausforderungen der politischen Gesprächsführung nicht verändert.

Die effektive Nutzung der begrenzten Zeit von Mandatsträgern ist entscheidend für ein gelungenes Interview. Der folgende Text analysiert, worin sich der politische Dialog vom Gespräch mit Wirtschaftsvertretern unterscheidet, basierend auf meinen Erfahrungen mit verschiedenen Medienformaten, die ich zusammen mit meinem Kollegen, guten Freund und Kumpanen Kenny S. Dettmers entwickelt habe.

Meine Erfahrungen aus der Interviewpraxis im politischen Bereich zeigen: Politische Gespräche haben ihre eigenen Regeln. Sie erfordern gründliche Vorbereitung, strategische Vorbereitung und ein ausgeprägtes Gespür für Nuancen. Der professionelle Umgang mit der knappen Zeit eines Politikers ist für den Erfolg des Gesprächs ausschlaggebend.

Der folgende Artikel richtet sich an Journalistenkollegen und Medienschaffende, die ihre Interviewtechnik im politischen Bereich verfeinern möchten.

Politische Nuancen verstehen

Im politischen Kontext hat jedes Wort Gewicht. Während Wirtschaftsvertreter Produkte bewerben, navigieren Politiker zwischen übergreifenden Konzepten und konkreten Details. Ein einzelnes Wort oder eine spezifische Betonung kann die Schlagzeilen des nächsten Tages bestimmen.

Der demokratische Auftrag verpflichtet Politiker zur öffentlichen Kommunikation. Diese folgt jedoch strategischen Überlegungen. In unserem parlamentarischen System ist jedes Interview Teil politischer Positionierung. Verhandlungspositionen oder konkrete Festlegungen während laufender Prozesse werden vermieden, da sie Kompromissmöglichkeiten einschränken können. Für Journalisten bleibt oft nur die äußere Form – der eigentliche Kern verbirgt sich in Andeutungen.

Protokollieren und Protokoll

Die eigentliche Herausforderung besteht nicht im Protokollieren des Gesagten, sondern im Erkennen des bewusst Unausgesprochenen. Der Journalist muss analysieren, welche Themen ausgelassen werden, warum bestimmte Formulierungen gewählt und welche Bereiche gezielt umgangen werden.

Im aktuellen Medienumfeld verändert sich das Verhältnis zwischen journalistischer Recherche und politischer Kommunikation. Regierungshandeln wird von Faktoren wie Umfragewerten und parteiinternen Dynamiken beeinflusst. Eine genaue journalistische Analyse muss diese Zusammenhänge berücksichtigen.

Wirtschaftsvertreter präsentieren sich oft direkt und sachbezogen. Sie sprechen mit Begeisterung über ihre Produkte und teilen bereitwillig Details. Politiker hingegen wissen, dass unbedachte Äußerungen Schaden anrichten können. Ihre Offenheit ist kalkuliert. Die tatsächlichen Positionen müssen zwischen den Zeilen gelesen werden.

Zeit und journalistische Taktik

Der politische Terminkalender ist minutiös durchgeplant. Politiker behandeln Zeit als knappe Ressource. Diese zeitliche Begrenzung dient nicht nur der Effizienz, sondern ermöglicht auch Kontrolle über das Gespräch. Zeithoheit bedeutet Gesprächshoheit. Unpünktlichkeit wird von Politikern gelegentlich strategisch eingesetzt.

Ministerielle und parlamentarische Abläufe erfordern strikte Zeitdisziplin. Die Position der Mandatsträger setzt professionelle Strukturen voraus. Technische Probleme oder mangelnde Organisation diskreditieren den Journalisten und können zu seinem Ausschluss aus relevanten Informationskreisen führen. Im politischen Betrieb gibt es selten zweite Chancen.

Kostbare Zeitquanten nutzen versierte Politiker zur Platzierung präparierter Statements. Wer unvorbereitet in solche Gespräche stolpert, wird zu rhetorischem Spielball degradiert. Was hilft: Erfahrung, Menschenkenntnis, akribische Recherche. Der disziplinierte Journalist entwickelt ein hochsensibles Radar für Standardfloskeln, erkennt Ausweichmanöver und presst sanft, aber unnachgiebig auf den wunden Punkt – dort, wo authentische Information schlummert.

Ein präziser Schlusspunkt ermöglicht es, auch nach konfrontativen Fragen einen angemessenen Abschluss zu finden. Der Politiker mag zerknirscht sein, doch mit einem klaren Gesprächsende lassen sich Spannungen auflösen. Die Begleitung des Politikers zurück zu seinem Büro, bevor Aufräumarbeiten beginnen, gehört zur professionellen Etikette.

Begleitende Kollegen oder Techniker können hierbei wertvolle Unterstützung bieten, müssen jedoch außerhalb des direkten Sichtbereichs platziert werden. Ihre Anwesenheit darf keinesfalls als Ausflucht bei unangenehmen Fragen dienen. Die Gesprächsführung liegt ausschließlich beim Interviewer – genau diese Klarheit macht das Format des politischen Interviews so wertvoll.

Technik und Autorisierung

Im deutschen Politikjournalismus ist die Autorisierung von Interviews üblich. Gegen nachträgliche Änderungen hilft nur technische Absicherung. Eine Tonaufnahme ist unerlässlich, idealerweise mehrspurig angelegt.

Empfehlenswert ist eine separate Tonspur pro Sprecher in verlustfreiem Format. Die Tonqualität muss nicht perfekt sein; wichtiger ist die getrennte Aufzeichnung jedes Teilnehmers. Professionelle Ansteckmikrofone mit digitaler Signalverarbeitung bieten hier klare Vorteile. Diktiergeräte oder Smartphone-Aufnahmen sind Notlösungen, die keine ausreichende Qualität für die weitere Verarbeitung gewährleisten. Für den politischen Journalisten sind ein hochwertiges Audio-Interface und professionelle Aufnahmetechnik keine Option, sondern Notwendigkeit.

Die Aufnahmen ermöglichen die spätere Transkription mit Software wie Dragon Dictate oder spezialisierten Diensten wie Auphonic. Das genaue Transkript dient als Dokumentation und schützt vor nachträglichen Umdeutungsversuchen, die bei der im politischen Journalismus üblichen Autorisierungspraxis häufig vorkommen.

Podcasts und digitale Formate haben die Rezeptionsgewohnheiten verändert und erfordern angepasste Interviewtechniken. Das Grundproblem bleibt jedoch bestehen: Politiker vermeiden präzise Aussagen und neigen dazu, sich in allgemeinen Formulierungen zu verlieren. Journalisten müssen darauf achten, sich nicht mit wohlklingenden, aber inhaltsleeren Formulierungen abspeisen zu lassen – eine Gefahr, die im klassischen Ausdruck des „Bequatschtwerdens“ treffend beschrieben wird.

Gute Interviewführung erfordert, freundlich und zugleich konsequent zu sein, ohne sich dabei lächerlich zu machen. Der Interviewer muss Abschweifungen unterbinden und Floskeln als solche kenntlich machen. Höflichkeit und gleichzeitige Beharrlichkeit sind entscheidend. Mehrspurige Aufnahmetechnik hilft, das tatsächlich Gesagte vom implizit Angedeuteten zu unterscheiden. So kann ein erfahrener Journalist politische Gespräche in inhaltlichen Erkenntnisgewinn umsetzen.

Das Können offenbart sich in der Dialektik zwischen Freundlichkeit und Bestimmtheit. Gleichzeitig existiert eine eherne Regel, dass Lächerlichkeit um jeden Preis vermieden werden muss. Es ist offensichtlich, dass Darwins Prinzip der natürlichen Selektion auch im journalistischen Biotop gilt. Der Interviewer muss rhizomatisches Abschweifungsverhalten rigoros blockieren und Phraseologie sofort enttarnen. Es ist von größter Bedeutung, dass er höfliche Beharrlichkeit bei gleichzeitiger Unbeeindruckbarkeit gegenüber rhetorischer Brillanz ohne Substanz demonstriert.

Die Verfassung garantiert Pressefreiheit und stellt damit sicher, dass kritische Nachfragen Teil unserer demokratischen Kultur sind. Faktentreue und präzise Begrifflichkeit sind hierbei essentiell. Die grundgesetzlich garantierte Position der Medien als vierte Gewalt verpflichtet zu einer sachlichen, aber nachdrücklichen Befragung politischer Entscheidungsträger. Hier muss der Journalist die Balance zwischen kritischer Distanz und respektvoller Anerkennung der demokratischen Legitimation seines Gegenübers wahren.

Erfolgreiche politische Interviews folgen bestimmten Regeln: respektvoller, aber beharrlicher Nachfragestil, präzise Vorbereitung und Kenntnis parlamentarischer Abläufe. Journalisten, die politische Sprachmuster erkennen, Ausweichstrategien durchschauen und eine angemessene technische Ausrüstung nutzen, können auch zurückhaltende Politiker zu konkreten Aussagen bewegen. Dies ist keine Glückssache, sondern das Ergebnis professioneller Herangehensweise.

Dieser Text wurde am 17. Januar 2020 in Berlin veröffentlicht.
Patrick Pehl
Profilbild von Patrick Pehl
Patrick Pehl spielte eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung der Berateraffäre im Bundestag, insbesondere als führender Chronist des Untersuchungsausschusses. Als freier Journalist begleitete er den Ausschuss intensiv und berichtete umfassend über jede Sitzung. Pehl ist bekannt für seine detaillierte Parlamentsberichterstattung und hat sich den Spitznamen "Mister PUA" (Parlamentarischer Untersuchungsausschuss) verdient. Er initiierte auch einen Podcast zur Berateraffäre, in dem er die Entwicklungen des Ausschusses einem breiteren Publikum zugänglich macht. Seine Arbeit erfordert ein tiefes Verständnis der politischen Strukturen, das er durch jahrelange Erfahrung erlangt hat.