Dreigroschenoper

Barbara’s Song – Boot der Befreiung

Cynthia Micas als Polly Peachum in der Dreigroschenoper am Berliner Ensemble

In Bertolt Brechts „Dreigroschenoper” entpuppt sich der „Barbara Song”, oder „Der Song vom Nein und Ja“ als eine subtile, aber kraftvolle Ode an weibliche Selbstbestimmung. Durch die geschickte Verwendung einer Bootsmetapher zeichnet Brecht den Weg einer Frau zur sexuellen und persönlichen Emanzipation nach.

„Einst glaubte ich, als ich noch unschuldig war,” beginnt Polly Peachum ihre Erzählung, geprägt von den mahnenden Worten ihrer Mutter. In diesen frühen Versen bleibt das symbolische Boot ihrer Sexualität fest am Ufer vertäut: „Sicher wird das Boot am Ufer losgemacht, ja, aber weiter kann nichts sein.” Polly hält sich an die gesellschaftlichen Normen, wehrt „anständige” Verehrer ab und behält, wie sie betont, „ihren Kopf oben”. Eine herausragende Polly spielt Cynthia Micas gerade am Berliner Ensemble im Theater am Schiffbauerdamm.

Der Mann vom festgemachten Boot

Doch dann tritt ein Mann in ihr Leben, der alle Konventionen sprengt. Er ist weder wohlhabend noch besonders gepflegt – „Und als er kein Geld hatte, und als er nicht nett war, und sein Kragen war auch am Sonntag nicht rein”. In diesem Moment vollzieht sich Pollys Wandlung. Das bisher festgemachte Boot wird zum Werkzeug ihrer Befreiung: „Und es ward das Boot am Ufer festgemacht, und es konnte gar nicht anders sein!”

Diese Transformation ist der Kern von ihr emanzipatorischer Fahrt. Sie entdeckt, dass wahre Freiheit oft bedeutet, gegen den Strom zu schwimmen und gesellschaftliche Erwartungen zu durchbrechen. Ihre Entscheidung, sich dem „falschen” Mann hinzugeben, wird zur Metapher für weibliche sexuelle Befreiung und Selbstbestimmung.

Sie findet ihre Identität

Brecht illustriert meisterhaft, wie Polly die Fesseln der kleinbürgerlichen Moral abstreift. Das losgemachte Boot symbolisiert ihre Entscheidung, den eigenen Wünschen zu folgen, fernab von den Zwängen einer vorgegebenen Rolle als „Dame”. In ihrer Beziehung zu diesem unkonventionellen Mann findet Polly Peachum ihre wahre Identität.

Der „Barbara Song“ lädt uns ein, konventionelle Moralvorstellungen zu hinterfragen und die Kraft der persönlichen Freiheit neu zu entdecken. Er zeigt, dass Emanzipation nicht in der Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen liegt, sondern in der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen – selbst wenn diese den herrschenden Normen widersprechen.

In einer Zeit, als solche Themen noch tabu waren, setzt Brecht die Segel für eine offenere Diskussion über Sexualität und Selbstbestimmung. Der „Barbara Song” bleibt somit ein zeitloses Plädoyer für das Recht der Frau, Kapitänin ihres eigenen Schicksals zu sein – ein feinsinniges Manifest für die Emanzipation und die Kraft der Selbstbestimmung.

Dieser Text wurde am 28. Juni 2024 in Berlin veröffentlicht.
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Patrick Pehl

Patrick Pehl spielte eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung der Berateraffäre im Bundestag, insbesondere als führender Chronist des Untersuchungsausschusses. Als freier Journalist begleitete er den Ausschuss intensiv und berichtete umfassend über jede Sitzung. Pehl ist bekannt für seine detaillierte Parlamentsberichterstattung und hat sich den Spitznamen "Mister PUA" (Parlamentarischer Untersuchungsausschuss) verdient. Er initiierte auch einen Podcast zur Berateraffäre, in dem er die Entwicklungen des Ausschusses einem breiteren Publikum zugänglich macht. Seine Arbeit erfordert ein tiefes Verständnis der politischen Strukturen, das er durch jahrelange Erfahrung erlangt hat.