Momentaufnahme

Sommerverheißung: Vergänglichkeit städtischer Gefühle

Eine Frau schaut aus dem Fenster in einem Altbau mit bunten Blumen. Zeichnung.

Die Julisonne steht hoch am Himmel über Berlin und taucht die kleine, aber belebte Straße in grelles Licht. Es ist Wochenende, und die Werktätigen genießen ihre Freizeit. Hier reihen sich Cafés und Boutiquen wie an einer Kette, die von der Eberswalder Straße bis zum Alexanderplatz führt. In der Luft senkt sich ein Bouquet von Schnittblumen, Staub und Benzin. 

Im ersten Stock eines hellelfenbeinfarbenen Altbaus, dessen glatte Fassade von horizontalen Zierelementen durchbrochen wird, lehnt eine junge Frau aus dem eilig geöffneten Fenster. Ihr dunkles Haar fängt das Sonnenlicht ein, während ihr Blick freundlich auf den Mann unten auf der Straße fällt. Ihr kontrastreich quer-gestreiftes Oberteil verrät die Lässigkeit eines freien Tages. Der junge Mann steckt in einem weißen Niki, das sich mit letzter Kraft über die starken Schultern spannt. Er blickt suchend hinauf, die Hand an die Frisur getastet. Sie lächelt in wortlos aus etwa viereinhalb Metern an, am Nachbarfester eine Rabatte mit bunt blühenden Blumen. Sie reckt eine weiße Basecap hinter dem holzfarbenen Fensterrahmen empor und lächelt. Vielleicht erhofft sie sich seine Rückkehr? Zurück oder Vorwärts, er muss sich entschließen.

Beide tragen dieses undefinierbare, beseelte Lächeln zur Schau, das von einer Nacht erzählt, die mehr war als nur ein flüchtiger Moment war. Die Straßenbahn rasselt vorbei, eine kurze Unterbrechung in ihrem stillen Abschied. 

Sie wirkt wie ein junges Mauerblümchen, vielleicht eine Studentin, für die diese Begegnung eine reizende Abwechslung in ihrem sonst behüteten Alltag darstellt. Sie wirkt wie eine jener jungen Frauen, die neu in der Stadt sind. Unerfahren im Erleben solcher Abenteuer. Sie sieht jeden Tag Neues, doch ruhen ihre Blicke in diesem Moment auf ihm allein. Sein Blick hinauf lässt erahnen, dass er die vergangenen Stunden ebenso genossen hat wie sie es vermutlich getan hat. Sie wirft ihm die Basecap hinunter, als wäre sie ein gehauchter Kuss. Gefangen. Für einen Moment scheint die Zeit stillzustehen, eingefroren in der Hitze des Julitages. Eine ephemere Erinnerung wurde geschaffen, zart und verheißungsvoll.