Im Freibad herrscht sommerliche Ausgelassenheit, die Zeit scheint stillzustehen – Urlaub im Alltag der Werktätigen. Neben den typischen Wegplatten recken sich wilde Gräser mannshoch den Baumkronen entgegen. Inmitten dieser städtischen Bruthitze liegt das Freibad wie ein brutales Kleinod der Erfrischung. Der gekachelte Boden reflektiert das harte Sonnenlicht, während sich in der Luft eine Duftkomposition entfaltet: Der typische Berliner Benzingeruch vermählt sich mit dem Aroma von Sonnencremes, dem frischen Hauch gechlorten Wassers und dem Geruch der Bäume im angrenzenden Park.
Am gefliesten Beckenrand tummelt sich die Jugend in Ausgelassenheit. Auf einem zur Liegedecke umfunktionierten Handtuch ruht eine junge Frau, deren lange Haare man wohl am besten mit straßenköterblond bezeichnen kann. In die wuschigen Haare ist eine Sonnenbrille wie ein modisches Diadem gesteckt. Halb aufgerichtet und auf dem Rücken liegend, die Beine in einer lässigen Pose leicht angewinkelt, präsentiert sie ihre gebräunte Haut. Sie ist in diesem Sommer wohl nicht das erste Mal an diesem Ort.
Badeanzug und Badeshorts
Ihr dunkler Badeanzug mit den markanten drei Streifen hebt sich ab von der Bikinimode ihrer Gefährtinnen. Neben ihr liegt ein ungebleichter Stoffbeutel mit dem Logo der Humboldt Universität und ein vom Wasser gewelltes Philosophie-Magazin.
Während ihre Freundinnen in ein Gespräch vertieft sind, lässt sie ihren Blick gelangweilt durch die bunte Szenerie am Becken schweifen. Das lebendige Treiben der Badenden und das ferne Rauschen der Stadt bilden die Geräuschkulisse dieses sommerlichen Tableaus.
Nach einigen Minuten des umherschweifenden Blickes bleibt dieser auf einem jungen Mann haften. Er steht am Beckenrand, eine Gestalt wie einem Werbeprospekt entsprungen. Seine Schwimm-Short ziert ein kleines Krokodil auf dem hellblauen Funktionsstoff. Sein Körper zeigt Spuren gelegentlichen Trainings, ohne den Anspruch auf Perfektion zu erheben: die Schultern gestärkt, der Bauch undefiniert, die Brust leicht behaart und das Gesicht glatt rasiert.
Bella Figura im Stadtbad
Er bemerkt die nonchalante Beobachterin. Nach einem Moment, in dem er sich innerlich versicherte, dass er erfasst ist, fährt er sich mit der Hand durch das wie angeklebt wirkende, nasse, dunkelbraune Haar. Einen Moment später taucht er mit einem Sprung ins Wasser ein und exponiert sich mit einigen kräftigen Zügen, nur um kurz darauf dem Becken wieder über die stählerne Leiter zu entsteigen. Bella Figura vor der nüchternen Betonkulisse.
Mit einer bemerkenswert beiläufigen Bewegung dreht sie ihren Kopf leicht ein, greift nach der Sonnenbrille, ihre Augen fixieren ihn weiter. Die Luft knistert ob der unausgesprochenen Möglichkeiten. Ob aus diesem ephemeren Flirt zwischen der Philosophie-Prinzessin und dem Chlor-Casanova mehr wurde, vermag ich nicht zu sagen, da ich mich widerwillig anderen Pflichten zuwenden musste.