Politische Social-Media-Kommunikation

Politik ist „Brain Rot“

Brain Rot Politiker Selbstdarstellung - Symbolbild

Die Politik soll sich um die Lösung der Probleme der Menschen kümmern und das Leben im Auftrag der Wähler verbessern. Das ist das Versprechen der arbeitsteiligen Gesellschaft. Aber beschleicht Sie auch das dumpfe Gefühl, dass die Politik zu selbst-referenziell ist und sich nicht um die Aufmerksamkeit für Probleme und deren Lösungen kümmert? Das Phänomen wird gerade unter dem Schlagwort „Brain Rot“, also einem verfaulten Hirn, besprochen.

Der Begriff „Brain Rot“ ist in aller Munde. Wie t-online analysiert, beschreibt dieses digitale Phänomen, wie Menschen stundenlang scheinbar sinnlose, sich wiederholende Inhalte konsumieren – ein Verhalten, das mittlerweile auch die politische Kommunikation erfasst hat. Diese Art von Content führt zu einer „Gehirnzersetzung durch Langeweile”, die paradoxerweise suchtartig nach immer mehr belanglosen Inhalten dürstet. Von diesem Phänomen als solchem berichtete vor einigen Wochen der Funk-Youtuber aus Sachsen-Anhalt Alexander Prinz.

Die inhaltliche Tiefe ist dabei so seicht wie eine Pfütze im Sommer, nachdem eine angefangene Flasche Wasser auf den Berliner Gehweg gefallen ist. In den letzten Wochen des eilig anberaumten Bundestagswahlkampfs 2025 offenbart sich, wie dieses Phänomen die politische Kommunikation transformiert. Die Entwicklung kumuliert zu einer Kohäsion von Beliebigkeit, die den demokratischen Diskurs zu ersticken droht.

Der aktuelle Wahlkampf liefert eine Fülle von Beispielen für diese neue Form der politischen Kommunikation. Besonders bezeichnend ist die Social-Media-Präsenz etablierter Politiker: Gregor Gysi etwa präsentiert sich in einem Video, bei dem im Hintergrund Parteimitglieder in skurrilen Kostümen tanzen – ein Content-Stück bar jeder politischen Aussage. In einem anderen Post zeigt er ein altes Foto mit eingegipsten Händen aus seiner Zeit als Berliner Senator, als er an umstrittenen Immobilienverkäufen beteiligt war. Die historische Einordnung fehlt völlig; stattdessen wird das Bild zum kontextlosen Unterhaltungselement degradiert.

Authentisch und auch bloß Menschen?

Auch andere Politiker bedienen sich ähnlicher Strategien: Der ehemalige JU-Vorsitzende und aktuelle Abgeordnete Lukas Krieger reduziert Politik auf TikTok zum Format eines „Schnellquiz“, das politische Inhalte auf das Niveau einer Gameshow herabwürdigt. CDU-Politiker aus Hohenschönhausen, Danny Freymark, wiederum inszeniert sich auf Instagram im Stil Donald Trumps, wie er eine Mülltonne schiebt – eine Aktion, die zwar Aufmerksamkeit generiert, aber jeglicher politischer Substanz entbehrt und wohl auch nicht authentisch scheint.

Die Motivation hinter der Entwicklung ist mehrschichtig. Nach Jahren, in denen die AfD durch native Kommunikation auf Instagram, TikTok und Facebook die mediale Agenda unterhalb der Wahrnehmung anderer Parteien beherrscht hatte, suchen ebenjene andere Parteien verzweifelt nach Wegen, ähnliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Algorithmen sozialer Medien haben dabei einen Race-to-the-Bottom ausgelöst: Content, der schnell konsumiert und geteilt werden kann, wird bevorzugt ausgespielt. Komplexe politische Botschaften haben es in diesem System schwer – und Politik ist nun mal komplex. Allerdings haben auch Publikumsmedien ihren Anteil daran, denn die immer spärlichere Besetzung von Redaktionen und dünneren Ressourcen ergeben eine Teufelsspirale.

Inmitten dieser Entwicklung zeigt ausgerechnet die Linken-Politikerin Heidi Reichinnek einen anderen Weg. Ihr viral gegangener Redebeitrag aus dem Bundestag demonstriert, dass politische Kommunikation auch im digitalen Zeitalter nicht zwangsläufig ihrer Substanz beraubt werden muss. Die „Wutrede“, wie sie in sozialen Medien bezeichnet wird, vereint emotionale Authentizität mit inhaltlicher Tiefe – und erreicht damit ein Publikum, das offenbar nach genau dieser Kombination dürstet.

Selbstdarstellung statt Repräsentation der Bürger

Die Bemühungen politischer Akteure, Aufmerksamkeit für sich, ihre Themen und Parteien zu generieren, sind grundsätzlich zu begrüßen. Politik kann und darf nicht ausschließlich in den Hinterzimmern der Macht stattfinden. Die Präsenz in der Öffentlichkeit, auch in sozialen Medien, ist ein legitimes und notwendiges Instrument demokratischer Prozesse.

Entscheidend ist jedoch die Kohärenz zwischen Form und Inhalt der politischen Kommunikation. Wenn der politische Diskurs zu einer Aneinanderreihung von Unterhaltungsvideos, programmierten Witzen und kontextlosen Memes verkommt, erodiert nicht nur die Substanz der Debatte – es steht auch die Autorität und Legitimität der politischen Akteure selbst auf dem Spiel.

Gewiss müssen Volksvertreter demonstrieren, dass sie die Lebenswirklichkeit, die Sorgen und Nöte ihrer Wählerschaft verstehen und nachvollziehen können. Diese notwendige Erdung darf jedoch nicht in würdelosen Klamauk abgleiten. Die Herausforderungen unserer Zeit – von der Klimakrise über soziale Ungleichheit bis hin zu geopolitischen Spannungen – erfordern eine Form der politischen Kommunikation, die der Komplexität der Themen gerecht wird.

Die Herausforderung besteht darin, moderne Kommunikationskanäle zu nutzen, ohne dabei die Würde des politischen Amtes zu kompromittieren. Politiker müssen ihre Wählerschaft dort erreichen, wo sie sich aufhält – auch in sozialen Medien. Doch dies darf nicht auf Kosten der substanziellen politischen Auseinandersetzung geschehen. Eine Demokratie braucht informierte Bürger, keine Konsumenten politischer Unterhaltung.

Wirkung wieder kalibrieren

Es ist an der Zeit, dass politische Akteure eine Balance finden zwischen zeitgemäßer Kommunikation und der Wahrung ihrer Autorität. Authentizität in der politischen Kommunikation bedeutet nicht, dem niedrigsten gemeinsamen Nenner zu folgen, sondern die Wählerschaft als mündige Bürger ernst zu nehmen. Nur wenn es gelingt, Aufmerksamkeit zu generieren und gleichzeitig die Substanz der politischen Debatte zu bewahren, kann die Demokratie den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden.

Dieser Text wurde am 8. Februar 2025 in Berlin veröffentlicht.
Patrick Pehl
Profilbild von Patrick Pehl
Patrick Pehl spielte eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung der Berateraffäre im Bundestag, insbesondere als führender Chronist des Untersuchungsausschusses. Als freier Journalist begleitete er den Ausschuss intensiv und berichtete umfassend über jede Sitzung. Pehl ist bekannt für seine detaillierte Parlamentsberichterstattung und hat sich den Spitznamen "Mister PUA" (Parlamentarischer Untersuchungsausschuss) verdient. Er initiierte auch einen Podcast zur Berateraffäre, in dem er die Entwicklungen des Ausschusses einem breiteren Publikum zugänglich macht. Seine Arbeit erfordert ein tiefes Verständnis der politischen Strukturen, das er durch jahrelange Erfahrung erlangt hat.