Dialektische Selbstinszenierung

Operation Coolness – Als ich mich selbst karikierte

Illustration - Lässig in Prenzlauer Berg

Es ist ein heißer Sonntag, der die Stadt sanft zerschmelzen lässt. Ich bin außerordentlich gut gelaunt, denn ich habe frei und bin voller Vorfreude. Am Abend bin ich verabredet, zu einer Lesung mit Musik in Prenzlauer Berg zu gehen. Am Vormittag ist der Abend noch fern, doch in Gedanken bin ich schon dort.

Ich weiß noch nicht genau, was mich erwartet, doch eins wird mir immer klarer: Ich muss lässig aussehen, cool wirken, bella Figur machen. Aber wie genau, weiß ich noch nicht. Schon beim Aufwachen spüre ich dieses Kribbeln – pure, unverfälschte Vorfreude, die ich unbedingt hinter einer Fassade von Coolness verstecken will.

Über den Tag verteilt kippe ich mehrere Tassen Kaffee in mich hinein. Als ich einen mittäglichen Spaziergang machte, mussten meine lieben Nachbarn zu unfreiwilligen Zeugen meiner überbordenden guten Laune werden. Beim nachbarschaftlichen Spaziergang überschütte ich sie mit Vorfreude. Sie nicken höflich, vermutlich in der stillen Hoffnung, dass mein Enthusiasmus bald weicht. Der Tag fängt also schon ganz gut an – zumindest für mich.

Weißes Shirt und graues Jäckchen

Die Sonne steht hoch am Himmel, als ich beschließe, meinen Look für den Abend zu planen. Mein Kleiderschrank, normalerweise ein Tempel der Eleganz, wird zum Laboratorium meiner neu zu erfindenden Lässigkeit. Geschneiderte Anzüge und makellose Hemden schauen mich vorwurfsvoll an, als ich nach einem einfachen, aber sehr wohl ausgewählten weißen Baumwoll-T-Shirt ohne Markenaufdruck greife. “Verräter”, scheinen sie zu flüstern. Ich kombiniere es mit einer freundlichen lichtgrauen Trainingsjacke der Marke Adidas, die ich sportlich halboffen trage – ein Meisterwerk der Pseudo-Nonchalance.

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Meine heiß geliebte Braun Uhr mit Metallarmband – ein Klassiker des Industriedesigns – findet ihren Weg an mein Handgelenk. Sie tickt im Rhythmus meiner wachsenden Aufregung. Dazu eine sorgfältig ausgewählte Nadelstreifenhose, die Seriosität und exzentrischen Look in perfekter Balance hält. Meine mit billigsten Strumpfwaren besockten Füße stecken in ziemlich bequemen handgefertigten Schuhen, die ich zwar immer trage, die aber heute als Stilbruch besonders beiläufig wirken sollen.

Lässig am Anschlag

Die Stunden verstreichen, und meine Vorfreude wächst mit jeder Minute. Ich übe betont ausdruckslose Blicke im Spiegel, probiere verschiedene Arten aus, wie ich meine Haare verwuscheln kann, damit sie perfekt unfrisiert aussehen. Es ist eine Wissenschaft für sich, und ich bin entschlossen, sie zu meistern. Gegen 17 Uhr erreicht mein Vorfreude-Level den Anschlag. Jetzt heißt es: Ruhe bewahren und so tun, als wäre dieser Abend nichts Besonderes. Nur eine weitere Nacht im Leben eines weltgewandten Kulturkenners. Ein Hauch Schminke hier, ein Häubchen Haarstylingschaum da, und natürlich die Sonnenbrille – das ultimative Accessoire für den gewollt-lässigen Auftritt.

Als der weiße Zeiger meiner Designklassiker-Wanduhr in Richtung sechs wandert, schnappe ich mir mein Fahrrad und mache mich auf den Weg in den Nachbarbezirk. Die Straßen von Prenzlauer Berg empfangen mich mit ihrem typischen Flair aus geordnetem Kopfsteinpflaster, pittoresken Altbaufassaden und einer aus der Zeit gefallenen Tankstelle. Ich habe selbst mal in der Gegend gewohnt und fühle mich wie ein Tourist, der schon unzählige Male da war und sich über die Unveränderung freut – alles noch wie letztes Mal, nur ich bin jetzt cooler. Oder?

So cool wie Himmelblau-Eis

Vor der Spielstätte in einer alten Tanke angekommen, stehe ich unschlüssig herum. Wie stellt man sich hin, wenn man cool sein will? Ich lehne mich an eine Laterne, ein Bein lässig angewinkelt, und versuche, desinteressiert in die Ferne zu blicken. In meinem Kopf sehe ich mich als das supersüße Abbild der Lässigkeit, wie ein himmelblaues Eis in einer Honigwaffel an einem heißen Sommertag. Um besonders beiläufig herüberzukommen, denke ich mir: “Ich brauche ein Attribut!” Vielleicht eine Zigarette? Nein, ich rauche ja nicht. Ein Buch? Zu offensichtlich. Eine Tüte Gummibärchen? Jetzt wird’s albern.

Mit einem innerlichen Schulterzucken und einem nun nicht mehr unterdrückten Lächeln lasse ich meine mühsam aufgebaute Fassade fallen. Was auch immer der Abend bringen wird – es wird auf jeden Fall eine Geschichte wert sein. Und wer weiß, vielleicht werde ich ja doch noch zum erfrischendsten Typen des Abends – nicht weil ich so tue, als wäre ich cool, sondern weil ich einfach ich selbst bin. Ein leicht überdrehter, koffeingeladener Kulturenthusiast, der sich als himmelblaues Eis verkleidet hat. Prenzl’berg, mach dich bereit für einen Abend voller Überraschungen!