Kohärenz in der Handelspolitik

Jetzt regiert das „Wir“ – Die Geschlossenheit in der Regierung Merz

Jetzt regiert das „Wir“ – Die Geschlossenheit in der Regierung Merz

Der Weltsaal des Auswärtigen Amtes am Werderschen Markt in Berlin hat schon viele denkwürdige Auftritte erlebt. Doch was sich am Dienstag beim 11. Außenwirtschaftstag der Agrar- und Ernährungswirtschaft abspielte, war bemerkenswert: Außenminister Johann Wadephul (CDU) und Landwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) agierten mit einer Geschlossenheit, die nach vier Jahren Ampel-Chaos fast schon irritiert.

Nur einen Monat nach Friedrich Merz‘ schwieriger Kanzlerwahl zeigten beide Minister eine Kohärenz in ihren Aussagen, die ziemlich frappierend ist. „Politik aus einem Guss“ war nicht nur ein Schlagwort in den letzten Tagen – es war das Programm. Wadephuls Verständnis des neueren Begriffs Geoökonomie und Rainers Exportstrategie verzahnten sich ziemlich gut. Vom Zollstreit mit den USA über Handelsabkommen mit Indien und Thailand bis zur Ukraine-Unterstützung findet sich kein Widerspruch und auch keine Relativierung. Der verzahnte Ansatz alles mit eigenen Interessen zu betrachten ist nicht neu, aber zeigt einen Dominanzanspruch, der vielen in Deutschland und Europa gefallen dürfte.

Kontrast zum Ampel-Chaos

Wer die vergangenen Jahre verfolgt hat, reibt sich vermutlich die Augen, denn in der 20. Legislaturperiode unter Bundeskanzler a. D. Olaf Scholz (SPD) prägten öffentliche Querelen das Bild – selbst zwischen Ministern mit gleichem Parteibuch gab es Stress. Wenngleich dieses Bild des inneren Gegeneinander vor allem Minister mit Grünen-Parteibuch prägten. Erinnerungen werden wach an den Agrardieseleklat im Winter 2023/2024, als Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Rückvergütung für Landwirte einfach mit dem Finanzminister Christian Lindner (FDP) „ausdealte“, während Cem Özdemir (Grüne) als Landwirtschaftsminister hilflos zusehen musste. Es war ein Faux-Pas, der sich zu einem Protestteppich ausbreitete. Oder ein anderes Beispiel ist die Debatte um die Bejagung des Wolfes: Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) wollte „das Säugetier, das auch Schmerz und Leid empfindet“ weiter stark schützen, während Özdemir den Abschuss freigeben musste – ein Hin und Her innerhalb der grünen Familie.

Nichts davon war am Dienstag im Weltsaal zu spüren. Die rund 1000 Teilnehmer erlebten zwei Minister, die sich ergänzten statt blockierten. In den Flurgesprächen vor den Ministersälen war Zufriedenheit über die „auffällig einheitlichen Positionen“ zu vernehmen.

Kohärenz durch Kompetenz

Diese Geschlossenheit ist kein Zufall, sondern intrikat mit den persönlichen Kompetenzen verwoben. Wadephul und Rainer kennen sich seit Jahren aus dem Bundestag – der eine seit 2009, der andere seit 2013 dabei. Rainers Zeit als Vorsitzender des Finanzausschusses und sein breites Kontaktnetzwerk zahlen sich aus. Vor allem aber bringt der „schwarze Metzger“, wie ihn Markus Söder nennt, praktische Kompetenz mit: Als gelernter Metzgermeister mit eigenem Betrieb und früherer Landwirtschaft versteht er die gesamte Wertschöpfungskette vom Stall bis zum Teller.

Einen Tag später beim Deutschen Raiffeisentag in Berlin zeigte sich die Verlässlichkeit dieser neuen Politik. Rainer verwendete dieselben Begriffe, dieselben Prioritäten: „Politik aus einem Guss“, das „Wir“ im Bezug auf die Landwirte, die Erschließung neuer Handelsabkommen jenseits der USA. Die Deckungsgleichheit seiner Aussagen war beeindruckend. Auch wenn Alois Rainer noch von der eher vertrauten Geopolitik sprach, die schon Peter Scholl-Latour immer bemühte, so meinte er wohl eigentlich das was mit Geoökonomie gemeint ist.

Paradigmenwechsel von Ideologie zu Pragmatismus

Was sich hier manifestiert, ist mehr als taktische Abstimmung. Es ist die Umsetzung einer klaren Opposition slinie: Die CDU/CSU unter Albert Stegemann hatte in der Agrarpolitik eine konsistente Haltung entwickelt – jetzt wird sie eins zu eins umgesetzt. Nationale Alleingänge bei EU-Richtlinien? Vorbei. Bürokratie-Aufbau? Rückbau ist angesagt. Tierhaltung im Ausland? Deutsche Wertschöpfung soll im Land bleiben.

Auf diesem Spielfeld der Geoökonomie wird man nur ernst genommen, wenn man als Mannschaft gut aufgestellt ist.

Johannes Wadephul (CDU), Bundesaußenminister

Der Kontrast zur ideologiegetriebenen Ampel-Politik könnte größer nicht sein. Wo früher Umwelt gegen Landwirtschaft, Klimaschutz gegen Wirtschaft ausgespielt wurde, herrscht nun berechnender Pragmatismus. Diese neue Kohärenz ist geradezu deviant zur bisherigen politischen Praxis – im positiven Sinne. Wadephul formulierte den Gestaltungsanspruch unverblümt: „Jedes einzelne Abkommen bietet uns die Chance, das Regelwerk des Welthandels zu formen.“ Deutsche Interessen sollen künftig die globale Wirtschaftsordnung mitprägen. Rainer kündigte eine eigene Stabsstelle für Bürokratieabbau an, Wadephul mobilisiert 200 Botschaften für die Wirtschaftsförderung. Das ist Politik als Handwerk, nicht als Weltanschauung.

Merz als stiller Dirigent?

Friedrich Merz scheint seine Minister bewusst agieren zu lassen. Der Kanzler, der mit 69 Jahren wenig Zeit hat, sich als Staatsmann zu profilieren, konzentriert sich offenbar auf Außenpolitik und große Deals. Die Innenpolitik überlässt er Fachleuten wie Rainer, die ihre Ressorts aus eigener Kompetenz heraus führen können.

Diese Arbeitsteilung zahlt sich aus. In der Agrarpolitik geht es um vergleichsweise überschaubare Summen – ein paar Milliarden, als „sicherheitspolitisch vernetzt“ vermarktet, lassen sich gut an die Bauern vermitteln. Zumal die Positionen perfekt zu anderen Zielen wie dem Bürokratieabbau passen.

Signal für eine neue Ära

Was im Weltsaal des Auswärtigen Amtes geschah, war mehr als ein gelungener Außenwirtschaftstag. Es war das Signal für eine neue politische Kultur: Kompetenz statt Krawall, Kohärenz statt Chaos. Nach vier Jahren, in denen Regieren oft wie organisierte Unverantwortlichkeit wirkte, kehrt die Erkenntnis zurück, dass Politik funktionieren kann – wenn sie von Menschen gemacht wird, die ihr Handwerk verstehen.

Die Landwirtschaft, lange Spielball ideologischer Grabenkämpfe, profitiert als erste von diesem Wandel. Sie bekommt Minister, die wissen, wovon sie reden – und die an einem Strang ziehen. Das ist nach den Ampel-Jahren schon ein kleines Wunder.

Dieser Text wurde am 6. Juni 2025 in Berlin veröffentlicht.
Patrick Pehl
Profilbild von Patrick Pehl
Patrick Pehl spielte eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung der Berateraffäre im Bundestag, insbesondere als führender Chronist des Untersuchungsausschusses. Als freier Journalist begleitete er den Ausschuss intensiv und berichtete umfassend über jede Sitzung. Pehl ist bekannt für seine detaillierte Parlamentsberichterstattung und hat sich den Spitznamen "Mister PUA" (Parlamentarischer Untersuchungsausschuss) verdient. Er initiierte auch einen Podcast zur Berateraffäre, in dem er die Entwicklungen des Ausschusses einem breiteren Publikum zugänglich macht. Seine Arbeit erfordert ein tiefes Verständnis der politischen Strukturen, das er durch jahrelange Erfahrung erlangt hat.