Interview

Esra Limbacher: „Wirtschaft nicht stiefmütterlich behandeln“

Esra Limbacher: „Wirtschaft nicht stiefmütterlich behandeln“

Der 36-jährige Jurist Esra Limbacher ist seit diesem Jahr stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD und zuständig für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz. Als neuer Sprecher des einflussreichen Seeheimer Kreises prägt er maßgeblich die agrarpolitische Linie der Sozialdemokraten mit. Im Interview erklärt er, warum Ernährungssicherheit zur Resilienz gehört und wie er die Landwirtschaft vor Bürokratie schützen will.

Er ist noch neu in seinen Arbeitsräumen, die wie ein langer Schlauch im Jakob-Kaiser-Haus angeordnet sind. Die Wände sind noch provisorisch mit Werken geschmückt, die vorgesehene Kunst aus den Beständen des Bundestages wurde erst gestern ausgewählt und braucht noch einige Wochen, bis die Bilder an der Wand hängen. Stattdessen zieren alte Plakate aus den Hochzeiten der Sozialdemokratie in der alten Bundesrepublik den Raum: Ein rauchender Willy Brandt mit Mandoline, Helmut Schmidt ohne Zigarette und ein Trikot aus der Heimat. Ein zackiges SPD-Logo wiederderholt sich auf einem Kissen, hinter einer Zimmerpflanze und auf einem hölzernen Klappstuhl. Limbacher nimmt seine Rolle mit Ernst wahr und ist eingearbeitet, hat seinen jungen Fachreferenten dabei und weiß auf jede Frage eine politische Antwort – er will den Landwirten, den Umweltbesorgten und der Wirtschaft Antworten geben.

Esra Limbacher kommt direkt von einer namentlichen Abstimmung im Reichstag, es ging um den laufenden Etat des Kanzleramtes. Die Begrüßung ist freundlich. Esra Limbacher kommt direkt von einer namentlichen Abstimmung im Reichstag, es ging um den laufenden Etat des Kanzleramtes. Die Begrüßung ist freundlich.
Esra Limbacher kommt direkt von einer namentlichen Abstimmung im Reichstag, es ging um den laufenden Etat des Kanzleramtes. Die Begrüßung ist freundlich. © Max Hartmann 2025

Patrick Pehl: Herr Limbacher, wie sind Sie zur Landwirtschaft gekommen und warum sind Sie plötzlich in dieses Ressort gewechselt?

Esra Limbacher (SPD): Als stellvertretender Fraktionsvorsitzender von meiner Fraktion gewählt zu werden, ist für mich eine große Ehre. Und ich will gleich zu Beginn sagen: Dieses stiefmütterliche Behandeln des Themas Landwirtschaft mache ich mir bewusst nicht zu eigen, sondern ich halte das für ganz essenziell. Wir sprechen derzeit in der Politik viel über Resilienz, über äußere und innere Sicherheit, aber ich glaube, es wird viel zu wenig darüber gesprochen, was auch ein wirklich wichtiger Punkt in dieser Debatte ist – nämlich das Thema Ernährungssicherheit. Das gehört auch zur Resilienz dazu. Wenn man das Thema Ernährungssicherheit ernst nimmt, dann muss man die Landwirtschaft, die Landwirtinnen und Landwirte in diesem Land ernst nehmen und nicht immer nebenbei politisch behandeln, sondern sie aktiv politisch unterstützen. #MT150640#

Patrick Pehl: Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit Ihrer Kollegin und agrarpolitischen Sprecherin Franziska Kersten?

Sehr, sehr gut. Ich schätze die Franziska Kersten sehr, weil sie eine hohe fachliche Expertise auch aufgrund ihrer beruflichen Vergangenheit mitbringt, und das kann nur bereichernd sein, so jemanden in der eigenen Fraktion zu haben.

Patrick Pehl: Die GAP-Förderung wird ein großes Problemfeld. Wird aus Ihrer Sicht das Agrarressort so ein großes Ressort wie das Wirtschaftsministerium?

Das würde ja bestätigen, dass unsere Landwirtschaft die Wirtschaft ist, die auf dem Land stattfindet.#BN++161632#

Es hat auf jeden Fall eine enorme Bedeutung, das Ministerium. Und ich finde, dass es politisch immer wieder klein geredet wird. Das ist zumindest nicht meine Vorgehensweise. Es ist auch kein reines Ökologie-Ministerium, sondern es geht um eine wirtschaftliche Wertschöpfung, die dort stattfindet – nämlich in der Landwirtschaft, die breit aufgestellt ist. Und sie ist, wie der Name schon sagt, ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig unseres Landes. Ich bin ehrlich gesagt nicht bereit, politisch davon abzurücken, dass wir Landwirtschaft nur noch in kleinem Maße irgendwo betreiben. Sondern wir brauchen das, um die Ernährungssicherheit sicherzustellen.

Patrick Pehl: Zur GAP-Förderung: Soll das Budget erhalten bleiben oder sind Sie damit zufrieden, wenn einfach das Volumen bleibt, aber alles mit der Umwelt zusammengelegt wird?

Wenn Sie es ansprechen, die GAP-Förderung ist ein extrem wichtiges Thema für viele Betriebe. Ich halte das für einen falschen Weg, den die Europäische Union einschlägt, das Budget kürzen zu wollen. Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass das Budget mindestens so erhalten bleibt. Das ist nicht nur für die großen Betriebe enorm wichtig, sondern auch für die vielen mittelständischen Betriebe – kleinere Höfe, die genau das auch brauchen.

Nein, ich will nicht, dass alles mit der Umwelt zusammengelegt wird. Es gibt ja diese zwei Säulen, von denen wir sprechen. Ich glaube, es muss immer auch eine Möglichkeit geben, bürokratiearm diese Zahlungen zu erhalten. Das ist insbesondere für kleine und mittelständische Betriebe von hoher Relevanz, die sich nicht um den dritten Anhang des Formulars kümmern können, um Nachweise zu liefern und immer mehr zu liefern.

Esra Limbacher kommt direkt von einer namentlichen Abstimmung im Reichstag, es ging um den laufenden Etat des Kanzleramtes. Die Begrüßung ist freundlich.
Esra Limbacher kommt direkt von einer namentlichen Abstimmung im Reichstag, es ging um den laufenden Etat des Kanzleramtes. Die Begrüßung ist freundlich. © Max Hartmann 2025

Patrick Pehl: Wie wollen Sie den Bürokratieabbau konkret umsetzen? Herr Minister Alois Reiner (CSU) sagt immer, dass der größte Acker nicht der Schreibtisch sein dürfe.

Ich glaube, wir müssen mit einem neuen Ansatz starten, nämlich den Landwirtinnen und Landwirten von Anfang an mehr Vertrauen entgegenbringen. Das ist ein genereller Ansatz, auf den sich diese Bundesregierung und diese Koalition im Koalitionsvertrag geeinigt hat. Wir wollen einen Mentalitätswechsel herbeiführen in diesem Land, indem wir den Unternehmerinnen und Unternehmern – und dazu zählen die Landwirte – von Anfang an ein Vertrauen entgegenbringen. Gleichzeitig sagen wir natürlich: Wenn dieses Vertrauen missbraucht wird, kann es Strafen geben, das wird überprüft. Aber wir setzen die Voraussetzungen und Berichts- und Nachweispflichten nicht so hoch am Anfang, dass sie nur schwerlich zu erfüllen sind. Am Anfang muss immer das Vertrauen gegenüber dem Unternehmer stehen.

Stürmische Zeiten für die SPD, doch Seeheimer Esra Limbacher will es zusammen mit seinen Kollegen und dem Koalitionspartner angehen.
Stürmische Zeiten für die SPD, doch Seeheimer Esra Limbacher will es zusammen mit seinen Kollegen und dem Koalitionspartner angehen. © Max Hartmann 2025

Patrick Pehl: Eine provokante Frage, Herr Limbacher, die meisten landwirtschaftlichen Familienunternehmer kriegen sechzig Prozent ihres Einkommens aus Subventionen. Das bedeutet, eigentlich sind das Premium-Sozialhilfeempfänger. Warum wird denen nicht mehr auf die Finger geguckt?

Ich würde das überhaupt nie so bezeichnen, weil die Landwirtinnen und Landwirte insbesondere in den kleinen Betrieben eine enorm wichtige gesellschaftliche Rolle übernehmen. Zum einen gehört es zu unserer Kultur dazu, dass solche Betriebe in unserem Land noch existieren. Zum anderen stellen sie eine gewisse Ernährungssicherheit in unserem Land dar. Ich kann mich noch gut an die Corona-Zeiten erinnern, als auf einmal alle Lieferketten gestört wurden. Es war genau die Zeit, wo diese kleinen Höfe allesamt einen enormen Ansturm aus der Bevölkerung hatten – ob sie nicht doch irgendwie Milch, Eier oder Käse und Wurst zum Verkaufen hätten. Da gingen die Zahlen auf einmal ganz nach oben, weil man gemerkt hat, wie wichtig es ist, dass so etwas vor Ort noch produziert wird.

Patrick Pehl: Wie passt das mit dem Mercosur-Abkommen zusammen? Da ist die Regierung Merz richtig hinterher. Man will weitere Handelsabkommen mit China.

Deutschland ist ein Exportland. Deswegen wird das niemanden überraschen, dass auch diese Bundesregierung alles dafür getan hat, dass der Freihandel mit Partnern, denen wir vertrauen auf der Welt, weiter ausgebaut wird. Das halte ich auch für sehr notwendig mit Blick auf die geopolitischen Spannungen, die weltweit existieren. Wir beobachten, dass sich die USA immer weiter von uns abwendet. Wir beobachten, dass auch China die Märkte dicht macht. Es ist deswegen zwingend notwendig, dass wir uns im Wege von freien Handelsabkommen neue Partner auf der Welt suchen. Da zählt unter anderem das Mercosur-Abkommen dazu, aber noch viele andere. Zum Beispiel halte ich auch die Gespräche mit Indien für sehr wertvoll.

Patrick Pehl: Sie haben gesagt „Partner, denen wir vertrauen”. Sie haben aber auch ausgeschlossen, dass die USA und China vertrauensvoll sind. Auf der einen Seite sagen Sie Brasilien nicht, aber Mercosur schon. Da sind ein paar Widersprüche.

Nein, ich habe nicht davon gesprochen, welchen Partnern ich vertraue, sondern wer uns vertraut. Da müssen wir leider beobachten, dass einer unserer wichtigsten Handelspartner, nämlich die USA, im Wege von Zöllen, im Wege von anderen Maßnahmen sich immer weiter von unserem Wirtschaftsstandort abkapseln will. Wir müssen beobachten, dass unser wichtigster Handelspartner, nämlich die Volksrepublik China, sich immer weiter von uns wirtschaftlich entfernen will, immer mehr im eigenen Land machen will und nicht mehr von uns exportieren will. Das ist nichts, was ich will. Das ist eine Beschreibung der Realität, die momentan weltweit passiert.

Die Holzklappstühle sind typisch für Veranstaltungen der Seeheimer. In Berlin sind die ikonischen Objekte bekannt – vielleicht schon seit den 70ern.
Die Holzklappstühle sind typisch für Veranstaltungen der Seeheimer. In Berlin sind die ikonischen Objekte bekannt – vielleicht schon seit den 70ern. © Max Hartmann 2025

Patrick Pehl: Welche Konsequenzen müssen daraus abgeleitet werden, Herr Limbacher?

Zum einen Freihandel ausbauen, zum anderen voll auf den Markt innerhalb der Europäischen Union setzen. Dort haben wir die größten Wachstumspotentiale überhaupt, und die sind noch überhaupt nicht geborgen. Das müssen wir in der Zukunft angehen. Wir dürfen nicht aufhören, die Landwirtschaft in der Europäischen Union zu unterstützen. Das wäre der größte Fehler, weil das wirklich bedeuten würde, dass die günstigsten landwirtschaftlichen Produkte aus dem außereuropäischen Ausland kommen würden, und das kann nicht in unserem Interesse sein.

Patrick PehlZur Industriepolitik: Die BASF stellt Düngemittel her. Das ist ein riesiges Problem, weil wir die Grundstoffe dafür nicht haben. Wie wollen Sie das auffangen?

Die Seeheimer wollen die Helden für die Angestellten in Deutschland sein.
Die Seeheimer wollen die Helden für die Angestellten in Deutschland sein. © Max Hartmann 2025

Ich war vor zwei Wochen bei BASF in Ludwigshafen und habe genau darüber mit dem CEO und dem Bundesumweltminister sprechen dürfen. Ich bin sehr froh, dass sich das Unternehmen zu dem Standort Deutschland klar bekennt, aber auch in aller Ehrlichkeit sagt, dass zu viele Regulierungen natürlich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auch zerstören können. Große Teile und auch BASF sind nicht gegen Regulierung und nicht gegen Dekarbonisierung, sondern für eine smarte Regulierung.

Patrick Pehl: Skizzieren Sie mal diese smarte Regulierung.

Wir haben große Schritte europaweit vereinbart im Bereich ETS eins und zwei, also diese CO2-Bepreisung, die schon existiert oder für andere Bereiche noch kommen wird. Da müssen wir feststellen, dass wir genau hinschauen müssen, ob das den Verbraucher und die Industrie gleichermaßen überfordert oder ob wir auf dem richtigen Weg unterwegs sind. Im Einzelfall lohnt es sich, nochmal eine Korrektur vorzunehmen. Ich halte es für klug nachzudenken, inwiefern wir genau solche Grundstoffindustrie wie BASF stärker unterstützen können, damit sie hier bleibt. Da zählt unter anderem auch dazu, dass wir CCS, also die Speicherung von CO2, ermöglichen in Deutschland. Gerade für so große Betriebe wie BASF ist das eine gute Möglichkeit, um mit den CO2-Werten nach unten zu kommen.

„Wir sind die fortschrittliche Volkspartei der Mitte”

Patrick Pehl: Mich interessiert Ihre neue Position als Seeheimer-Chef. Wie wollen Sie dieses Amt gestalten und wo sind die größten Herausforderungen?

Der Seeheimer Kreis tritt für eine SPD ein, die eine fortschrittliche Volkspartei der Mitte sein will. Das heißt, wir haben einen sehr pragmatischen Kurs, der jetzt aber gerade in schwierigen Zeiten vor allen Dingen auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit denen setzt, die dieses Land voranbringen wollen. Deswegen will ich auch ganz klar sagen: Wir haben den Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU unterschrieben, und es ist mein fester Wille, dass wir gemeinsam hier etwas bewegen können.

Das typische Seeheimer Logo mit der zackigen Linienschrift ist oft im Büro zu sehen – und steht für Pragmatismus.
Das typische Seeheimer Logo mit der zackigen Linienschrift ist oft im Büro zu sehen – und steht für Pragmatismus. © Max Hartmann 2025

Es ist in unserem Interesse, dass wir nicht das Trennende in der Koalition hervorheben, was es sicherlich gibt, sondern die Gemeinsamkeiten – und da gibt es sehr, sehr viel. Das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. Der Start war etwas holprig, will ich zugeben, aber jetzt ist es unsere Verantwortung, das nicht so weiterzumachen, sondern die Gemeinsamkeiten nach vorne stellen, um das Land voranzubringen.

Patrick Pehl: Ihr Seeheimer-Chef-Vorgänger Dirk Wiese hat sich beim Deutschen Raiffeisenverband zu Ausnahmen beim Mindestlohn in der Landwirtschaft geäußert. Wie ist Ihre Position?

Wir haben klare Vereinbarungen im Koalitionsvertrag getroffen, und an die will ich mich auch halten. Ich halte nichts davon, dass wir eine Zweiklassen-Kultur im Mindestlohn-Bereich einführen. Das ist nicht unser Ziel, auf keinen Fall das Ziel der Sozialdemokratie.

Trotzdem lebt diese Politik in dieser Koalition von Kompromissen, und der Koalitionsvertrag ist so ein Kompromiss. Jede Partei hat ihre eigene Haltung zu bestimmten Themen, und es ist auch richtig und erforderlich, dass wir die Unterschiede immer wieder darstellen. Aber in so einer schwierigen Situation, wie wir uns jetzt momentan in Deutschland befinden, vor allem wirtschaftlich, können wir es nicht zulassen, dass wir nur über trennende Punkte diskutieren.

Patrick PehlUm es kurz mit der Realität abzugleichen – glauben Sie, dass den Job als Erntehelfer noch ein Deutscher machen will, wenn da immer mehr an der Preisschraube gedreht wird?

Die Realität ist doch, dass es heute kaum ein Deutscher macht. Ich kann Ihnen sagen, es werden zumindest nicht mehr Deutsche sich finden, wenn der Lohn noch weiter nach unten geht. Das ist nur logisch.

Der Mindestlohn ist, wie der Name sagt, eine Untergrenze und nicht mehr und auch nicht weniger. Der Markt wird das regeln. Es ist ganz einfach, auch in der freien Marktwirtschaft: Wenn weniger zur Verfügung stehen, die diese Arbeit machen wollen, dann steigen automatisch die Löhne. Es ist schon heute so, dass in vielen Betrieben über Mindestlohn bezahlt wird. Deswegen ist das nicht das entscheidende Thema, weil einfach sich zu wenige finden und dadurch die Löhne steigen. Dadurch verbessern sich die Bedingungen für Mitarbeitende, und das ist eine Konsequenz daraus, dass der Markt das entsprechend geregelt hat.

Verkarsteter Haushalt und Sozialetat des BMLEH

Patrick Pehl: Das Landwirtschaftsministerium hat einen sehr großen Anteil von landwirtschaftlicher Sozialpolitik – sechzig bis siebzig Prozent sind geblockt für Sozialausgaben. Wie wollen Sie dem Ministerium mehr Luft zum Atmen geben, wenn gleichzeitig gespart werden muss?

https://www.agrarzeitung.de/nachrichten/politik/versteinerung-des-haushalts-gestaltungsfaehigkeit-braucht-reformen-114259

https://www.agrarzeitung.de/nachrichten/politik/versteinerung-des-haushalts-gestaltungsfaehigkeit-braucht-reformen-114259

Das ist eine historische Entscheidung, die getroffen wurde, indem man gesagt hat, man will genau das aus dem Sozialsystem ausgliedern, um die Betroffenen in der Landwirtschaft auch entsprechend abzusichern. Das halte ich auch für richtig, und daran sollte sich jetzt auch nichts ändern.

Es geht darum, was ich eingangs erwähnt habe: Es geht einfach darum, die Bedeutung der Landwirtschaft wieder in der Gesellschaft, aber auch in der Politik, hier im Bundestag nach vorne zu stellen. Momentan ist das nicht gegeben. Wir sprechen viel zu wenig darüber, was für eine enorme Bedeutung die Landwirtschaft insbesondere bei Fragen der Ernährungssicherheit in unserem Land spielt, und vergessen zu schnell, dass wir sehr schnell angewiesen sein können darauf, dass es hier auch solche Produktionen noch in Zukunft geben kann.

Auf dem Weg zum nächsten Termin. Ob es für die SPD aufwärts geht, bringen die Entscheidungen der Genossen.
Auf dem Weg zum nächsten Termin. Ob es für die SPD aufwärts geht, bringen die Entscheidungen der Genossen. © Max Hartmann 2025

Patrick Pehl: Die Verkarstung des Haushalts bedeutet ja, dass immer weniger Spielraum da ist. Wie wollen Sie das verhindern?

Das ist ein strukturelles Problem. Wenn heute entschieden wird, weniger oder nicht mehr auszubilden – wie beispielsweise bei Festo – darf sich in den nächsten Jahren keiner über den andauernden Fachkräftemangel wundern. Wir müssen die strukturellen Probleme angehen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Landwirtschaft den Stellenwert bekommt, der ihr zusteht.

Patrick Pehl: Wie geht es weiter mit der SPD und der Machtprojektion, um gestalten zu können?

Ich möchte ein Thema ansprechen, was ich auch gestern in meiner Rede erwähnt habe: Wie gehen wir eigentlich damit um, dass in Deutschland so extrem viele Lebensmittel weggeworfen werden? Es gibt eine unglaubliche Anzahl an Lebensmitteln, die hergestellt wurden, geerntet wurden, verkauft werden sollten oder verkauft wurden, die am Ende im Müll landen. Wir haben das mal ausgerechnet: Mit der Menge, die im Jahr weggeworfen wird in Deutschland, könnten wir das Olympiastadion in Berlin rund fünfzig Mal füllen.

Manchmal ist ein Politiker eingesperrt hinter gläsernen Entscheidungswänden. Sie sind transparent, aber trotzdem nicht zu durchdringen.
Manchmal ist ein Politiker eingesperrt hinter gläsernen Entscheidungswänden. Sie sind transparent, aber trotzdem nicht zu durchdringen. © Max Hartmann 2025

Ohne mit neuen Vorgaben einzugreifen, könnte man, glaube ich, schon zumindest für langhaltbare Lebensmittel eine Lösung finden, indem wir diese Mindesthaltbarkeitsvoraussetzungen gewissermaßen abschaffen – dass wir Anhaltspunkte liefern auf den Verpackungen, wie lang zum Beispiel Honig, wie lang Reis wirklich haltbar ist. Aber nicht ein fixes Datum, und danach wird das einfach entsorgt und weggeschmissen. Da sollten wir ran. Das haben schon andere Landwirtschaftsminister gefordert, und ich finde, das sollten wir uns zu eigen machen.

Das kostet nichts, und es gibt keinen, dem man damit schadet. Ich finde schon, dass es ein erstrebenswertes Ziel ist, dass solche Güter wie Lebensmittel nicht im großen Stil entsorgt und weggeschmissen werden, obwohl sie eigentlich noch verwendbar sind.

Das Interview führte ich für die dfv Mediengruppe am 19. September 2025 in Berlin.

Dieser Text wurde am 18. September 2025 in Berlin veröffentlicht.
Patrick Pehl
Profilbild von Patrick Pehl
Patrick Pehl spielte eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung der Berateraffäre im Bundestag, insbesondere als führender Chronist des Untersuchungsausschusses. Als freier Journalist begleitete er den Ausschuss intensiv und berichtete umfassend über jede Sitzung. Pehl ist bekannt für seine detaillierte Parlamentsberichterstattung und hat sich den Spitznamen "Mister PUA" (Parlamentarischer Untersuchungsausschuss) verdient. Er initiierte auch einen Podcast zur Berateraffäre, in dem er die Entwicklungen des Ausschusses einem breiteren Publikum zugänglich macht. Seine Arbeit erfordert ein tiefes Verständnis der politischen Strukturen, das er durch jahrelange Erfahrung erlangt hat.