Kolumne

Schlachthof-Theater an der Spree

Schlachthof-Theater an der Spree

Es ist ein Dienstagabend in Berlin. In einem altehrwürdigen Haus an der Spree wird ein Theaterstück dargeboten, das die Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre und die Funktionsweise von Wettbewerb und komplexe Warentermingschäfte beschreibt, das elende Dasein einfacher Arbeiter in der Fleischindustrie von Chicago, um den Wohlstand der Arbeitgeber zu mehren. Ein Kartell, das sich durch Gier auflöst, wird gezeigt. Heute würde man es wohl mit einem großen Lebensmitteleinzelhändler und einem genossenschaftlichen Zulieferer beschreiben. Im Publikum soll Rolf Mützenich gesessen haben. „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ zieht das mutige Publikum an.

Drei Tage später verkündet die Mindestlohnkommission den unpolitischen Mindestlohn, der unter 15 Euro bleibt. Einen Tag später sagt ein Politiker , dass man von 15 Euro nicht leben könne, aber 15 Euro für die Unternehmer zu viel seien. Würde man mehr zahlen, würden einfache Lumpen nur zweieinhalb Monate im Jahr arbeiten statt dreien – lässt sich deduzieren.

Die Realität übertrifft die Satire: Während auf der Bühne die Kapitalisten von einst ihr Spiel treiben, vollzieht sich wenige Kilometer entfernt dasselbe Theater in parlamentarischen Kommissionen. Die Mechanismen bleiben dieselben, nur die Kostüme haben sich gewandelt.

Währenddessen vergnügten sich einige hundert Meter flussabwärts, vorbei an dem Haus, in dem der Mindestlohn verkündet werden wird, beim Sommerfest der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Agrarzeitung 27.2025.

Dieser Text wurde am 8. Juli 2025 in Berlin veröffentlicht.
Patrick Pehl
Profilbild von Patrick Pehl
Patrick Pehl spielte eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung der Berateraffäre im Bundestag, insbesondere als führender Chronist des Untersuchungsausschusses. Als freier Journalist begleitete er den Ausschuss intensiv und berichtete umfassend über jede Sitzung. Pehl ist bekannt für seine detaillierte Parlamentsberichterstattung und hat sich den Spitznamen "Mister PUA" (Parlamentarischer Untersuchungsausschuss) verdient. Er initiierte auch einen Podcast zur Berateraffäre, in dem er die Entwicklungen des Ausschusses einem breiteren Publikum zugänglich macht. Seine Arbeit erfordert ein tiefes Verständnis der politischen Strukturen, das er durch jahrelange Erfahrung erlangt hat.