Politikbeobachtung

Politik als Choreografie

Corps-de-Ballet rahmt einen Solisten auf einer Bühne mit Schau-Publikum

Die Bühnen der Stadt besuche ich bekanntlich gern, normalerweise jedoch eher das Sprechtheater, doch aus persönlichen Umständen heraus habe ich ein Interesse am klassischen Tanz, also Ballett, hervorgebracht. Nun schaue ich mit meinem noch ungeschulten Auge in die Tanzwelt und Choreographien, Gepflogenheiten wie fachlichen Eigenheiten hinein und entdecke durchaus interessante Parallelen zu meinem Alltag als Journalist in der Hauptstadt.

Es wird in der der Hauptstadt gerade mal wieder viel getanzt und getänzelt. Die Hinterbänkler im Bundestag warten auf Regieanweisungen, während seit den Wahlen am 23. Februar dieses Jahres Union, also CDU und CSU, sowie die SPD ihr altbekanntes Pas-de-Deux aufführen – jenen Paartanz, der zur „GroKo-Regierungsbildung“ führen soll. und wenn man genau hinsieht, findet man in diesem politischen Schauspiel Muster des klassischen Balletts – diese Parallele war mir noch nicht ganz bewusst, aber sie ist interessant.

Die Traversée der Sondierungsprofis

Was im Ballett die Traversée ist – eine diagonale Bewegung, bei der die Tänzer nacheinander die Bühne durchqueren – findet in der Politik ihre Entsprechung im Stellungskrieg der Generalsekretäre und Parteigranden, die ihre Fraktionsgeschäftsführer, gewogene Abgeordnete und Staatssekretäre vorgeschickt, um den medialen Raum für die eigentlichen Entscheider zu bereiten.

Sie tanzen ihre Choreografie, indem sie einen flüchtigen Satz für die Morgenmagazine fallen lassen, eine gezielte Indiskretion beim Hintergrundgespräch einbinden oder einen vermeintlich spontanen Talkshowauftritt bestreiten. Wie das Corps-de-Ballet – diese Gruppe von Ensembletänzern – bereiten diese Vorgeschickten den Auftritt der Parteichefs vor. Sie machen all die Arbeit, die das tanzende Milieu lebendig macht und den strukturellen Rahmen für die Solisten schafft, genau wie in einem echten Ballett.

Anders als das Divertissement – diese unterhaltsamen, aber eigentlich überflüssigen Tanzeinlagen ohne Handlungsrelevanz – leisten diese politischen Gruppentänzer die eigentliche Verhandlungsarbeit. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit erscheinen sie trotzdem als austauschbare Randfiguren. Die Hauptstadtmedien blenden mit ihrem Scheinwerferlicht, keiner der teils hochkomplexen Bewegungsmuster scheint einer Berichterstattung wert. Obwohl genau diese Tänzer den Takt vorgeben, nach dem später die Solisten tanzen werden, schon komisch eigentlich.

Bühnenauftritt des Parteichefs

Und dann, wenn Journalisten und Publikum bereits gelangweilt die Füße scharren, folgt der dramaturgisch perfekt inszenierte Medienauftritt des Parteivorsitzenden. Das politische Corps-de-Ballet weicht respektvoll zurück, alle Kameras schwenken auf die Hauptfigur. Mit wenigen Gesten beherrscht er die Polit-Bühne.

Seine Worte? Inhaltlich kaum anders als die der Unterhändler. Doch jetzt gelten sie plötzlich als wegweisend. Das Publikum ist beeindruckt, die Kommentatoren überschlagen sich mit Analysen zur „staatsmännischen Vorstellung“.

Was bleibt, ist die Erinnerung an den großen Solisten, während die Leistung der eigentlichen Akteure vergessen wird. Dabei wäre ohne ihre Arbeit, die oft im Verborgenen stattfindet, der triumphale Auftritt des Chefs undenkbar. Ja, ohne sein Corps-de-Ballet, ohne seine Gruppentänzer wäre er nicht auf dem Silbertablett präsentiert und das Publikum wäre nicht rauschhaft auf seinen Auftritt gespannt gewesen.

In der Politik wie im Ballett entscheidet letztlich nicht der einzelne Star, sondern das präzise Zusammenspiel aller Beteiligten. Wer die Koalitionsverhandlungen verstehen will, sollte den Blick von den Hauptdarstellern lösen und die Choreografie des Ganzen betrachten. Sonst verpasst man das eigentliche Stück.

Dieser Text wurde am 8. April 2025 in Berlin veröffentlicht.
Patrick Pehl
Profilbild von Patrick Pehl
Patrick Pehl spielte eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung der Berateraffäre im Bundestag, insbesondere als führender Chronist des Untersuchungsausschusses. Als freier Journalist begleitete er den Ausschuss intensiv und berichtete umfassend über jede Sitzung. Pehl ist bekannt für seine detaillierte Parlamentsberichterstattung und hat sich den Spitznamen "Mister PUA" (Parlamentarischer Untersuchungsausschuss) verdient. Er initiierte auch einen Podcast zur Berateraffäre, in dem er die Entwicklungen des Ausschusses einem breiteren Publikum zugänglich macht. Seine Arbeit erfordert ein tiefes Verständnis der politischen Strukturen, das er durch jahrelange Erfahrung erlangt hat.