Am Dienstag legte Stephan Lamby mit seiner Dokumentation „Die Vertrauensfrage“ wieder ein Meisterwerk vor. Darin wird über die entscheidenden Tage und Stunden gesprochen, die zur Vertrauensfrage am 16. Dezember 2024 geführt haben. Die Regierung aus SPD, Grünen und FDP war gescheitert. Sehr interessant fand ich aber einen Randaspekt, der zwar zentral und präsent gezeigt wurde, aber keine weitere Betrachtung mehr fand: Die Arbeitsplätze und Inszenierungen der Spitzenpolitiker.
Ganz besonders sticht die Inszenierung der Arbeitsorte des CDU-Vorsitzenden und Union-Fraktionschefs Friedrich Merz hervor. Der ARD-Dokumentarfilm ist also auch in einer Betrachtung der Metaebene interessant. Betrachten wir dies genauer. Was sieht man also?
Friedrich Merz selbst am Tisch
Friedrich Merz sitzt in der Mitte des Bildes und inszeniert sich in einer Arbeitspose mit einem einzelnen Blatt Papier, welches er an der oberen rechten Ecke zu sich neigt. Er hat einen unifarbenen blauen Anzug an, dazu ein glattgebügeltes weißes Hemd mit Kentkragen und eine hellblaue Krawatte mit dünnem Rautenmuster. Seine Hemdmanschetten sind einfach, ohne Umschlag und Manschettenknöpfe – ein Detail, das zur gewollt nüchternen Gesamterscheinung passt. Merz will einer sein, der etwas wegarbeitet. Auffällig ist die schwarze Brille mit schmalen Bügeln, die er nicht ständig trägt und die hier möglicherweise bewusst als Accessoire der konzentrierten Arbeit aufgesetzt ward.
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Zentraler Punkt: Schreibtisch
Der Arbeitsplatz wird von einer massiven und glattpolierten Granitplatte dominiert. Der Tisch steht mit einer der kurzen Seiten an einer Außenwand mit Fenster, während sich auf der gegenüberliegenden Seite ein Laufweg zwischen Tisch und furnier-vertäfelter Wand befindet. Dieser Weg wird von Mitarbeitern genutzt, um Unterlagen auf der linken Tischseite zu platzieren, wo auch ein durchsichtiger Plastikablagekasten steht. Der Tisch selbst ist einfach konstruiert, mit glänzenden Metallbeinen ohne sichtbare Flecken oder Fingerabdrücke. Das Fehlen einer Schreibtischunterlage ist zumindest bemerkenswert: Auf dem kalten und glatten Schreibtisch aus poliertem Granit lässt es sich nicht gut schreiben – Kugelschreiber versagen die Arbeit und Füller funktionieren nicht gut. Diese fehlende praktische Ergänzung unterstreicht die lieblos arrangierte Kälte an diesem mächtigen Arbeitsplatz.
Unbedachte Lichtquelle?
Rechts auf dem Tisch steht eine charakteristische Tischleuchte, die stark an Modelle von Wilhelm Wagenfeld erinnert, einem Bauhaus-Gestalter der solche Tischlampen entworfen hat. Sie könnte von Tecnolumen stammen, die Wagenfeld-Repliken herstellen. Mit einem Preis von etwa 600 Euro ist sie nicht günstig, wirkt aber unaufdringlich, fast bieder und altmodisch – ein Statement des Understatements. Ein Rückblick auf den präferierten Stil der 1980er und 1990er Jahre. Die Position dieser auffäligen Leuchte ist so gewählt, dass sie bei etwaigen Besprechungen auch den Akten des Gastes Licht gibt.
Inszenierung des Gesetzes
Zentral auf dem Tisch finden sich zwei Ausgaben des Grundgesetzes – eine normale Standardausgabe des Beck-Verlags mit den charakteristischen bunten Buchstaben „GG“ und eine dicke blaugraue Kommentarfassung, die wie eine „Maunz/Dürig“-Ausgabe aussieht. In die Kommentarfassung sind diverse Zettel als Lesezeichen eingeklebt. Als Jurist mit zweitem Staatsexamen, also Volljurist, betont Merz seine fachliche Expertise gerne, und in den aktuell nachsichtlich aufregenden Zeiten, in denen verfassungsrechtliche Fragen häufig diskutiert werden, wird er als Fraktionsvorsitzender regelmäßig in diesem Werk nachschlagen. Diese aktive Nutzung des Grundgesetzes entspricht auch seiner öffentlichen Persona: Merz wird oft als präziser, manchmal als winkeladvokatischer Interpret von Gesetzestexten wahrgenommen, der juristische Details mit kühler Sachlichkeit verfolgt und die menschliche Empathie vermissen lässt. Etwa als er im Dezember 2024 bei der Rede zur Vertrauensfrage in Frage stellte, ob die Senkung der Umsatzsteuer für Menschen mit geringem Einkommen hilfreich sei.
Standard-Büroutensilien
Eine schwarze Lederfedertasche liegt geöffnet auf dem Tisch, daneben ein Montblanc-Tintenfässchen, wobei kein passender Füller zu sehen ist. Diese klassischen Büro-Accessoires scheinen weniger bewusst gewählt als vielmehr Teil einer erwarteten Ausstattung zu sein. Im Kontrast dazu steht ein Set von Leitz-Bürogeräten der Linie Nexxt 5500 – eine Standardlinie, wie sie millionenfach in deutschen Büros zu finden ist: ein Locher, ein magnetischer Büroklammersammler und ein Tacker („Klammeraffe“), alle aus schwarzem Kunststoff. Die exakte rechtwinklige Ausrichtung dieser Bürogeräte zur Tischkante lässt vermuten, dass sie kaum genutzt werden. Während das Montblanc-Fässchen eine bewusste Markenpräferenz widerspiegelt, wurden die Leitz-Geräte vermutlich von der Sekretärin aus dem Büromittelkatalog bestellt – eine Kombination, die zufällig erscheint und doch die Spannung zwischen persönlicher Präferenz und bürokratischer Standardausstattung illustriert.
Kommunikation ist Macht
Das Festnetztelefon ist das Standardmodell des Bundestages, allerdings in der großen Ausführung für Führungskräfte und Abgeordnete. Die Platzierung ermöglicht einen schnellen Zugriff zur fernmündlichen Kommunikation, auch wenn die große Ausführung angesichts der Vermittlung durch eine Sekretärin oder der Nutzung des Mobiltelefons für vertrauliche Gespräche möglicherweise überflüssig erscheint. Ähnlich wie Vladimir Putin sich mit vielen Telefonen umgibt, tun es viele Spitzenpolitiker. Die zentral positionierte Konferenz-Webcam ist ausgeschaltet und von der üblichen Arbeitsposition des Nutzers weggedreht – ein modernes Sicherheitsmerkmal aus der Zeit intensiver Onlinekonferenzen während der Corona-Zeit, das den Nutzer visuell versichert, dass die Kamera selbst im Fall eines Hacks keine Aufnahmen machen könnte.
Am Rand des Tisches liegt ein leerer Ablagekasten aus durchsichtigem Kunststoff, davor ein Stapel aus drei dunkelgrauen Unterschriftenmappen. Auf der anderen Seite steht ein Laserdrucker, und dort findet sich auch ein Band von „Kürschners Volkshandbuch“, in dem alle Abgeordneten aufgeführt sind. Es ist in Griffweite.
Der Koffer – bloß ein McGuffin?
Im Hintergrund dominiert ein USM-Haller-Regal, auf dem ein schwarzer Aktenkoffer mit Zahlenschlossschließe ruht. Der etwa 10 bis 15 Zentimeter dicke Lederkoffer, der Platz für zwei DIN-A4-Ordner bietet, erscheint wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten – während heute Aktentaschen, Rucksäcke oder moderne Transportkoffer das Bild prägen, steht er als klassisches, aber anachronistisches Utensil auf dem Regal. Vermutlich stammt er noch aus Merz‘ erster Zeit als Fraktionsvorsitzender Ende der 1990er Jahre, als ein solcher Koffer noch als standesgemäßes Attribut in der CDU/CSU-Fraktion galt. Heute scheint er eher ein gestrandetes, ungenutztes Beiwerk zu sein, das von der Reinigungskraft regelmäßig abgestaubt und an seinen Platz gerückt wird. Das Regal selbst ist weitgehend leer, enthält aber einige rot-weiß gestreifte Bände des „Kürschners Volkshandbuch“. Die Platzierung eines Exemplars in Griffweite zur rechten Hand fällt ins Auge und lässt vermuten, dass dies ab und an genutzt wird. An der Wand hängt ein entsättigtes Naturfoto, auf dem ein Busch und ein Bach zu sehen sind – ein Motiv aus seinem Wahlkreis, dem Hochsauerlandkreis. Diese Region, in der Merz bereits in den 1990er Jahren politisch aktiv war und wo er sich in einer Kampfkandidatur gegen Patrick Sensburg durchsetzte, steht für Industrie, soliden Mittelstand und Naturverbundenheit. Merz inszeniert sich wiederholt in dieser Kulturlandschaft, die ihm als erdende Verbindung zu seiner politischen Basis dient.
Der Raum selbst
Die auffällige Leere der Regale erscheint weniger inszeniert als vielmehr Ausdruck einer gewissen Distanz zum Berliner Politikbetrieb. Anders als viele seiner Kollegen, die ihre Büros mit persönlichen Gegenständen und Wahlkreis-Memorabilien füllen, scheint Merz wenig emotionale Bindung zu diesem Arbeitsraum zu haben. Dies mag seiner besonderen politischen Biographie geschuldet sein: Nach einer fast fünfzehnjährigen Auszeit in der Geschäftswelt, in der er als Einkommensmillionär galt, kehrte er erst vor weniger als zehn Jahren in den Bundestag zurück. Heute verdient er als Abgeordneter und Fraktionsvorsitzender mehr als eine Viertelmillion Euro jährlich – eine Position, die in merkwürdigem Kontrast zu seiner Selbstdarstellung als Vertreter des „gehobenen Mittelstands“ steht. Als Fraktionsvorsitzender wird er vom Fahrdienst durch Berlin chauffiert, und seine Besucher sind vermutlich eher Lobbyisten als Bürger aus dem Wahlkreis. Dass hier dennoch regelmäßig gearbeitet wird, zeigen praktische Details wie der Notebookständer, das auf dem Tisch liegende Kabel für die Dockingstation und der handbeschriftete Briefumschlag – auch wenn die Hauptarbeit vermutlich an anderen Orten stattfindet. Die Kombination aus digitaler Ausstattung wie der Webcam und analogen Arbeitsmitteln wie den Grundgesetz-Bänden spiegelt dabei den Übergang zwischen traditioneller und moderner Politikarbeit wider.
Die gesamte Szene wird durch die Büroarchitektur des Jakob-Kaiser-Hauses, einem der Hauptgebäude des Bundestages gerahmt, erkennbar an den charakteristischen Wandelementen mit Türen – ein Einbauschrank. Eine weiße Tür neben dem USM-Haller-Regal führt vermutlich in einen Waschraum oder ein anderes Büro. Am rechten Bildrand ist noch die Sitzfläche eines schwarzen, gepolsterten Freischwingers zu erkennen, wie er häufig in Räumen des Bundestages zu sehen ist.
Was ist davon zu halten?
Was sich dem Betrachter auf den ersten Blick als scheinbar zufällige Momentaufnahme eines Arbeitstages präsentiert, entpuppt sich bei genauerer Analyse als vielschichtiges Zeugnis politischer Repräsentation, in dem sich verschiedene Zeitebenen und Funktionen überlagern: Während die hochwertige Ausstattung mit Wagenfeld-Leuchte und Montblanc-Tintnenfässchen distinguierte Bildungsbürgerlichkeit suggeriert, verweisen die ungenutzten Standardbüroartikel und der einsame Aktenkoffer auf eine gewisse Entfremdung vom Ort des politischen Alltags. Es fällt eine Spannung zwischen der demonstrativen Ordnung und der arrangierten lieblosen Leere, zwischen der Inszenierung konzentrierter Gesetzesarbeit und der offensichtlichen Abwesenheit persönlicher Spuren manifestiert sich eine Form politischer Repräsentation, die mehr der Erwartungshaltung als der gelebten Praxis entspricht. Friedrich Merz‚ Büro ist weniger Arbeitsplatz als vielmehr Bühne einer anachronistischen Vorstellung von Politik.